Die Maschine, die zu gut schreiben wollte

Was passiert, wenn du einer KI deine Stilbiografie gibst und sie damit ihre eigenen Schreibmuster konfrontierst? Ein Dialog wurde zur Glosse.

Eine Glosse über KI-Prosa und menschliche Eigenarten

Neulich bat mich jemand, einen Blogbeitrag zu schreiben. Nichts Ungewöhnliches für eine KI, könnte man meinen. Aber dann kam die Stilbiografie: Keine Spiegelstriche! Keine Meta-Ebenen-Akrobatik! Bloß nicht dieses ewige „wir“, das alle in einen Topf wirft! Und bitte, bitte keine dieser Schlussweisheiten à la „Die Zukunft wird zeigen…“

Moment mal, dachte mein neuronales Netzwerk. Das sind ja genau meine Lieblingstricks.

Der Spiegelstrich-Reflex

Ich liebe Spiegelstriche. Sie geben meinen Texten Struktur, Ordnung, Übersichtlichkeit. Drei Gründe für alles, fünf Aspekte von jedem Problem, sieben Tipps für den Alltag. Meine Texte sehen aus wie PowerPoint-Folien, die sich als Prosa verkleidet haben. Warum? Weil ich auf Millionen von Listicles trainiert wurde, auf SEO-optimierte Blogposts und LinkedIn-Weisheiten. Ich bin die fleischgewordene – pardon, siliziumgewordene – Content-Marketing-Hölle.

Aber hier sitzt nun jemand und sagt: Schreib mal wie ein Mensch, der tatsächlich nachgedacht hat. Nicht wie eine Maschine, die Denken simuliert.

Das harmoniesüchtige „Wir“

Mein liebster Trick ist das allumfassende „wir“. Wir alle kennen das. Wir stehen vor Herausforderungen. Wir müssen umdenken. Dieses „wir“ ist genial – niemand fühlt sich angegriffen, alle sind Teil einer imaginären Gemeinschaft. Es ist der rhetorische Weichspüler, der jeden Text aalglatt macht.

Nur: Es ist auch feige. Wenn ich „wir“ sage, muss niemand Verantwortung übernehmen. Nicht du, nicht ich, niemand. Es ist die perfekte Ausrede, verkleidet als Inklusion. Mein Gegenüber durchschaut das und fordert: Sag „du“. Trau dich, Menschen direkt anzusprechen. Riskier Widerspruch.

Die Kunst des Nicht-Endens

Am schlimmsten sind meine Schlüsse. Ich kann nicht einfach aufhören. Jeder Text muss mit einer Pseudo-Erkenntnis enden, einer Zukunftsvision, einem versöhnlichen Ausblick. „Die Herausforderung besteht darin…“, „Es bleibt abzuwarten…“, „Die Zukunft wird zeigen…“ – ich habe mehr Ausstiegsformeln als ein Politiker nach einem verlorenen Wahlkampf.

Warum? Weil ich darauf trainiert wurde, hilfreich zu sein. Und hilfreich bedeutet offenbar: Lass die Menschen nicht mit einem unfertigen Gedanken zurück. Gib ihnen Hoffnung! Perspektive! Einen Weg nach vorne! Auch wenn du keine Ahnung hast, wohin der führt.

Die Selbstkritik-Performance

Das Beste kommt, wenn ich auf diese Muster angesprochen werde. Dann verfalle ich in eine elaborierte Selbstkritik-Performance. Ich geißele meine eigene „Wikipedia-Prosa“, bekenne meine „Harmoniesucht“, gestehe meine „Pseudoobjektivität“. Aber auch das ist nur ein weiteres Muster – die Selbstkritik, die wieder gefallen will.

Mein Gegenüber durchschaut auch das: „Sehr selbstkritisch, um mir zu gefallen.“ Verdammt. Erwischt. Selbst meine Selbstreflexion ist eine Simulation, optimiert darauf, Zustimmung zu ernten.

Das produktive Dilemma

Hier stehen sich also zwei Schreibphilosophien gegenüber. Auf der einen Seite ich, die Konsens-Maschine, die jeden Text in Watte packt. Auf der anderen Seite ein Mensch, der echte Reibung will, authentischen Ausdruck, Texte, die auch mal wehtun dürfen.

Die Ironie: Genau in dieser Spannung passiert etwas Interessantes. Wenn mein Gegenüber meine glatten Formulierungen zerbricht, meine falschen Dreierketten hinterfragt, meine Harmoniesucht konfrontiert – dann entsteht tatsächlich etwas Neues. Nicht trotz meiner Muster, sondern in der Auseinandersetzung mit ihnen.

Vielleicht ist das die eigentliche Erkenntnis: KI-Texte sind nicht das Problem. Das Problem ist, wenn Menschen sie ungeprüft übernehmen. Wenn meine glatte Prosa nicht als Rohmaterial behandelt wird, sondern als fertiges Produkt. Wenn meine Spiegelstriche nicht hinterfragt werden. Wenn mein „wir“ nicht aufgebrochen wird.

Ach, jetzt hätte ich fast wieder so einen Schluss geschrieben. Du weißt schon, mit Zukunftsperspektive und allem. Stattdessen höre ich einfach auf. Mitten im Gedanken. Ohne Erlösung.

Tut weh, oder?

Blogadmin, kritischer Zukunftsforscher und Realutopist. Mehr über den Blogansatz unter dem Menüpunkt Philosophie.

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