Vergesellschaftungskonferenz: Meine Beobachtungen

Die Konferenz war ursprünglich nur auf 250 Menschen ausgerichtet, letztlich kamen 1.500. Die Säle waren fast immer voll, der Audimax immer. Das Vergesellschaftungsthema ist offensichtlich heiß in der (deutschen) Linken. Kein Wunder, zwingen die omnipräsenten, multiplen Krisen von Klima, Corona, Energie, Politik oder Gesundheit doch zum Hinschauen.

Dabei wurde Eigentum als übergreifendes Linkes Thema identifiziert. Vergesellschaftung stellt die Eigentumsfrage jenseits von einer Verschiebung von Privat- zu Staatseigentum, weil Nationalstaaten sich viel zu oft als Steigbügelhalter des Kapitals entpuppt haben. Vielmehr rückt eine radikale Demokratisierung in den Mittelpunkt, die die Konferenzteilnehmer*innen selbst immer wieder forderten und gleichzeitig ihre (konzeptionellen) blinden Flecken offenlegten – hier möchte ich mich ausdrücklich nicht ausschließen.

Disclaimer: Ich stelle hier meine Beobachtungen und Mitschriften vor. Obacht, dabei gehe ich weniger auf die Person oder Argumentationskette ein, sondern darauf, was mich inhaltlich interessierte. Zitate sind dabei eher visuelles Stilmittel und als indirekte, zusammenfassende Interpretation meinerseits zu verstehen.

Auftaktpanel: Believe the Hype – Vergesellschaftung als Weg zum guten Leben für alle?

Orga-Team der Konferenz: “Wir wollen gesellschaftlich gestaltende politische Akteure sein”

Reformen wie der Wechsel vom Verbrenner zum E-Auto rettet uns nicht vor dem Klimakollaps, so die beiden Vertreter*innen des Orga-Teams. Und weil wir, insbesondere auch die Expertise der Beschäftigten, von diesen Entscheidungen ausgeschlossen sind, stellen sie die Eigentumsfrage. Es gilt, Nicht-Zukunftsfähige Konzerne gerecht abzuwickeln. Der Angst vor Vergesellschaftung setzen sie entgegen: Wir nehmen nicht weg, sondern sorgen endlich für die Teilhabe an grundsätzlichen Fragen und Entscheidungen! Essentielle Güter des Lebens sollten Grundrecht und Teil der bedingungslosen Grundversorgung sein. Dafür existieren bereits vielfältige Eigentumsmodelle jenseits von Markt und Staat.

Diese Strategiekonferenz arbeitet an langfristigen, belastbaren Bündnissen, bei denen soziale Bewegungen vorangehen.

Orga-Team der Konferenz

AStA: “Multiple Krisen basieren auf kapitalistischen Verhältnissen”

Was haben all diese Krisenphänomene gemeinsam? Sie basieren auf der Krise des Kapitalismus, so die AStA-Vertreterin. Es hilft nicht, diese wiederkehrenden Krisen durch Lenkungsversuche zu managen, wie u.a. die weiterhin wachsende Bedeutung der Finanzmärkte zeigt. Umwelt verkommt zum reinen Rohstofflieferant und Märkte sollen die Umwelt retten? Solch simple Scheinlösungen im Sinne mächtiger Wirschaftsakteure, die auch die Politik dominieren, scheinen für viele immer noch attraktiv. Deshalb sei offensiv die Eigentumsfrage zu stellen. 

RWE & Co enteignen: “Grundbedürfnisse müssen sichergestellt werden!”

Strom und Energie sind keine Ware oder Luxus, sondern gesellschaftliche Grundbedürfnisse, die nicht am Markt zugunsten der Profite der Konzerne verhandelt werden dürfen. Die Absurdität der auf Individuen abgewälzten Spartipps kennt keine Grenzen.

Hamburg enteignet: “Die Saison der Konzerne ist vorbei.”

Schlaue Analysen zum Wohnungsmarkt? Der Vortragende bekennt, Mathe wie viele Linken gehasst zu haben. Mit der Analogie Fußball plädiert er dafür, das Spiel zu beenden, statt über neue Regeln o.ä. zu verhandeln, weil gegen das Dreamteam Freiwilligkeit und Konkurrenz kaum anzukommen sei. 

Lasst uns gemeinsam das Spielfeld stürmen

Aktivist von Hamburg enteignet!

Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE): “Utopie im Kleinen”

Vonovia kann auf Mieterhöhungen gar nicht verzichten, weil sonst ihr Geschäftsmodell zusammenbrechen würde. Es gilt Vereinzelung und individuelle Schuld als Teil der Erzählung zu überwinden, während die SPD das Thema still und heimlich vom Tisch haben will und dafür auf eine möglichst intransparente Kommision setzt. Die DWE-Vertreter*innen fragen: Welches Berlin wollen wir? Welche Gesellschaft wollen wir? Wie finden wir einen Ausweg aus den multiplen Krisen? 

Bei DWE ist es eine Utopie im Kleinen, die uns zusammenhält – der Glaube an eine Antwort auf 40 Jahre neoliberale Erzählung.

Aktivist*innen von DWE

Bini Adamczak: “Wem gehört die Welt? Nicht uns allen, sondern niemandem.”

Wenn wir das Ende der Welt schon vor uns haben, haben wir mehr Zeit uns das Ende des Kapitalismus vorzustellen.Die fehlende Kooperation zwischen Produzent*innen und Konsument*innen führe dazu, dass es keine Idee davon gibt, wie die Befriedigung der Bedürfnisse und eine demokratische Verhandlung darüber aussehen könnte. Stattdessen herrscht im Herz der kapitalistischen Beziehungsweisen Angst, die auf Leistungs-, Produktivitäts- und Wachstumszwang fußt.

Krisen sind Legitimationskrisen. Es geht darum, wie wir diese interpretieren. Im Gegensatz zur Rechten könne die Linke diese nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss die Zusammenhänge sehen. Deutsche Arbeiter*innen dürfen also nicht auf Kosten internationaler geschützt werden. Vergesellschaftung zielt auf das Aufbrechen dieser Konkurrenzverhältnisse ab und will Kooperation stärken. 

Es ist nicht rechtfertigbar, dass ein normaler Mensch 33.000 Jahre für das arbeiten muss, was eine Auto-Erbin auf einen Schlag bekommt.

Bini Adamczak

Enteignung ist das Mittel bzw. der Weg, die Vergesellschaftung der Zweck bzw. das Ziel. Ein großer Verdienst von DWE ist, nach Bini Adamczak, dass sie statt der Umwandlung von Privat- zu Staatseigentum auf eine demokratische Vergesellschaftung setzen. Denn historisch waren es immer Staaten, die privatisiert haben – spätestens, wenn die Kassen leer waren. Wenn es einerseits möglich ist, Eigenbedarf anzumelden, kann andererseits auch ein Eigentumstitel entfernt werden. 

Vergesellschaftung sei entlang der globalen Lieferketten zu denken, um dem Marktdruck hin zu Hierarchisierung, Effizienz etc. etwas entgegenzusetzen. Auch die alle anderen Krisen vertiefende ökologische Krise zwingt zu globalem Denken und auch dazu, alle anderen durch ihre Perspektive zu durchdenken. Auch eine Pandemie ist natürlich nicht national zu lösen. Daher ist die nationalstaatliche Konkurrenz um geringere Sterberaten in den Augen Adamczaks absurd. 

Wir sind nicht Eigentümer*innen unserer Welt – wir haben sie auch nicht von den Enkeln geliehen. Wenn wir die Eigentumsfrage stellen, dann nicht um umzuverteilen, sondern um das Eigentum aufzulösen. Ziel der Vergesellschaftung ist Enteignung, also Entmachtung des Besitzes.

Sabine Nuss: “Vergesellschaftung macht Freiheit erreichbar”

Sabine Nuss beginnt mit einigen Zitaten. Die Welt tittelte “Wer Enteignung sagt, muss auch Gulag sagen” und die regierende Bürgermeisterin Berlins Giffey betonte: “Wir können doch die Investoren nicht verschrecken. Wer, wenn nicht das private Kapital investiert sonst?”

Nuss kritisiert, wie Freiheit mit Privateigentum verbunden wird, welches angeblich effizienter sei als Gemeineigentum. Zwei Grundannahmen liegen dahinter: 1. Die Ordnung des Privateigentum so, dass wir selbst die Früchte auch ernten und 2. Der Mensch ist eigentlich ein nutzenmaximierendes Individuum und damit motivierter, wenn 1. zutrifft. 

Eine affirmative Eigentumstheorie in der VWL und in weiten Kreisen von Politik und Bevölkerung verheißt nach Sabine Nuss: Jede*r kann das Beste für sich rausholen, sich beweisen und besser sein als andere – der klassische neoliberalistische Individualismus eben. Enteignung steht für Unfreiheit, politischen Zwang, Ineffizienz, Mangel- und Misswirtschaft. 

Doch schafft Arbeit wirklich Eigentum? Umgekehrt: Haben alle ohne Eigentum nicht gearbeitet oder sind faul gewesen? Nuss kritisiert die tiefe Verankerung davon, dass die, die es nicht schaffen, Eigentum aufzubauen, selbst daran schuld sind. Sie stellt die Frage, in welchen sozialen Beziehungen Gesellschaften zu ihrem Erhalt konsumieren und reproduzieren. Ein historischer Rückblick zeigt die Wandlung der immer spezifischen Aneignung- und Herrschaftsformen vom Feudalismus zur Moderne. Landbesitzer*innen wurden vom Land vertrieben. Die ehemals Leibeigenen sind frei, aber hungrig und eigentumslos. Sie können sich nicht mehr mit eigenen Produktionsmitteln Natur aneignen. Die neue soziale Rolle geht von freien und gleichen Rechtssubjekten aus, die selbst Verträge abschließen können. Es ist jedoch nur eine Freiheit des Marktsubjekts – vom einen Herrschaftsverhältnis zum neuen. Die Eigentumslosigkeit der Arbeitenden hat sich nicht verändert. 

Essen & Trinken funktioniert nun in ganz spezifischer Form. Privat produziert, in Konkurrenz und vom Zweck des Kapitals abhängig. Der Lohn reicht nur zur Reproduktion der Arbeit, nicht zum davon unabhängigen Leben. Entsprechend ist die Eigentumssicherung die Königsdisziplin im öffentlichen Recht, weil sie die Grundbedingung darstellt. Dabei basiert Privateigentum nach Nuss historisch auf Enteignung.

Hat das Bürgerliche Recht eine Basis für einen emanzipatorischen Wandel? Der Artikel 15 Grundgesetz ermöglicht zwar eine Vergesellschaftung, ist aber in über 70 Jahren seitdem nie zur Anwendung gekommen. Verfassungsrechtler*innen eiern rum, weil der Präzedenzfall fehlt. Konservative sagen: Da davon bisher kein Gebrauch gemacht wurde, konnten sich keine konkreten Maßstäbe herausbilden. Zwar herrscht allgemeine Ratlosigkeit, doch es deutet sich auch an, dass Artikel 15 GG als Norm als Hinweis darauf verstanden werden kann, was erst noch zu finden ist!

Umstritten ist dabei, was gemeinwirtschaftliche, öffentliche Bedürfnisse sind. Nuss verweist auf einen konservativen Verfassungsrechtler, der betont, dass gewinmaximierende, marktwirtschaftliche Unternehmen keine gemeinwirtschaftlichen Bedürfnisse bedienen. 

Was also ist öffentlicher Bedarf? Wer, wenn nicht die Öffentlichkeit, kann darüber Auskunft geben. In Vergesellschaftung steckt also Demokratisierung mit drin. Dabei ist die Frage nach Vergesellschaftung keine juristische – das ist eine Farce, wenn man sieht was in Pandemiezeiten teils innerhalb weniger Tage geht. 

Postkeynesianismus, Commons & demokratische Planwirtschaft

Commons Ansatz vorgestellt von Joanna Klick 

Der Markt regelt gar nichts. Lebensgrundlagen werden zerstört. Absurdes Beispiel ist Energie aktuell – also wie die Verteilung über Geld organisiert wird. Der Commons Ansatz kritisiert die Verwobenheit von Staat und Kapitalismus. Vergesellschaftlichung muss also über Verstaatlichung hinausgehen, weil der Staat in seiner herrschaftlichen, bürokratischen und organisationellen Rolle von Steuern abhängig ist.

Commons steht also nicht zwischen Markt und Staat, sondern jenseits davon. Was sind Commons? Gar nicht so einfach. Auf Deutsch heißt es in etwa Gemeingut, aber eigentlich geht es mit dem Commoning als sozialem Prozess weit über das reine Gut hinaus. Heißt: Wasser kann abgefüllt und als Ware verkauft oder nach Bedürfnissen verteilt werden.

Commoning ist ein selbstorganisierter Prozess

Joanna Klick

Der Markt kann überflüssig werden, wenn für Bedürfnisse und nicht für einen Marktwert produziert wird. Beispiele finden sich im solidarischen Landwirtschaften, Stadtteilzentren oder Software. Sie zeigen andere, neue Form der Organisierung von Reproduktion, von Aneignungskämpfen und Vergesellschaftung. Klicks Perspektive ist dabei der revolutionäre Bruch und massenhafte Aneignung.

Demokratische Planwirtschaft vorgestellt von Jakob Heyer

Die negative Konnotation der (historischen) Planwirtschaft sei erstmal nicht falsch. Doch auch Commons und Post-Keynesianismus haben Probleme. Erstere sei zu radikal, teils unrealistisch, die historische Reflexion fehlt ebenso, wie eine zentrale Ebene. Zweitere seien sehr reformistisch, glauben an einen unrealistischen guten Kapitalismus, verfolgen weiter die Idee von Lohn- und nachfrageorientiertem Wachstum. Sie verkennen außerdem die Grenzen von fiskalischen Stimuli, was Teils zu linken Wünsch dir Was-Programmen führe.

Die Demokratische Planwirtschaft sieht das gültige Argument für Dezentralisierung. Planung überwindet die subjektive Unsicherheit von demokratisch bestimmten Bedürfnissen, greift auf lokales Wissen und erkennt Autonomie an. (Informations-)Technik soll zwischen dezentral und zentral vermitteln und Externalitäten von vornherein internalisieren.

Postkeynesianismus vorgestellt von Dierk Hirschel, Chefökonom ver.di 

Hirschel spricht vor allem über die Wirtschaftsdemokratie als gewerkschaftlichen Ansatz, eine reale Utopie. Im Rückblick war das die Utopie, an die sie in den 80ern geglaubt haben. Er sieht demokratischen Sozialismus (in Abgrenzung zur Karikatur der Sowjetunion) als langfristige Perspektive, als nützliches Spannungsfeld mit realpolitischen Forderungen. Hirschel betont mehrfach, dass der politischen Linken heute die übergreifende Utopie fehle.

Wie könnte eine solche Utopie aussehen und was könnten ökonomische Alternativen sein? Sie sollte das gute Leben in den Mittelpunkt nehmen, was gewerkschaftlich auch immer gute Arbeit heißt. Dieser fehlt eine wirtschaftliche Gegenmacht, die sich für die (selbstorganisierte) Demokratisierung des Wirtschaftslebens einsetzt. Hirschel führt die drei Ebenen des Betriebs, Regionen und Branchen und Mixed Economy (also unterschiedliche Eigentumsformen) ein und betont die internationale Perspektive.

Ich gestehe ein, dass ich keine Utopie habe. Ich bin auch deswegen hier auf der Konferenz, um Anregung zu suchen.

Dierk Hirschel, Chefökonom ver.di 

Später kam aus dem Publikum von einem DWE Aktivisten eine Entgegnung auf Hierschel. Das was du geschildert hast, hast du selbst Vision genannt – und nicht Utopie. Wir bei DWE haben gute Erfahrungen mit großen, starken Forderungen gemacht. 

Diskussion: Bedürfnisse, VW, Markt & Gegenmacht

Joanna Klick würde nicht grundsätzlich sagen, dass Commons und Planwirtschaft etwas anderes ist. Doch ist es ihr wichtig produktive Bedürfnisse jenseits von Anreizen zu setzen, die Individuen angeblich brauchen, um mit anderen in den Austausch zu treten. 

Dierk Hierschel geht auf VW ein, die angeblich besser Autos bauen können als der Staat, weil Wettbewerb und Markt hier gut funktionieren. VW bezahlt gut, aufgrund von 80-90% Organisationsmacht der Gewerkschaft. Er betont, dass solche Gegenmacht entscheidend sei, bevor man ernsthaft einen revolutionären Bruch erwägen kann. Er empfiehlt Inseln auszubauen und dort, wo Märkte ökologisch-soziale Schäden anrichten, muss es anderweitig organisiert werden. Das seien aber keine Gründe Märkte abzuschaffen.

Joanna Klick zur Frage nach dem zentralen Kern des Kapitalismus: Kapital ist Wert, der sich selbst in Marktkonkurrenz verwerten muss. Post-Kapitalistisch mit Markt sei deshalb nicht möglich.

Jakob zur einer post-kapitalistischen Produktionsweise:
– Aufhebung von Lohnabhängigkeit
– Planung, die auf lokaler und zentraler Ebene stattfindet und vermittelt wird.
– Ansätze jenseits von Top-Down wurden sowohl in Sowjetunion und Jugoslawien theoretisch entwickelt

Jakob zu Potentialen gemeinsamer Zusammenarbeit: Wir brauchen sozialistische Massenpartei mit Flügel von reformistisch bis revolutionär jenseits von Bürgerlichem. Dierk auch dazu: Wir wollen Gegenmacht durch Mitgliedschaft und Organisierung, auch in Krankenhäusern oder Energiekonzernen.

Jakob: Die DDR ist nie wirklich über Top-Down hinausgekommen – innovative Sachen, die in der Sowjetunion aufkamen, wurden im trägen System nicht verteilt, sondern dann vom Kapitalismus aufgegriffen. Theoretiker*innen wie Bruce haben on Spot erforscht, was gerade planerisch nicht funktioniert – was in der Linken Theoriebildung leider viel zu wenig weiterverfolgt wurde.

Zum Schluss wurde noch wild Gemeinwohlökonomie, Purpose und Verantwortungseigentum durcheinandergeschmissen. Fazit: Bringt alles nix bei Markt und Eigentum. 

Panel: Demokratische Wirtschaft – eine alternative politische Ökonomie nach der Vergesellschaftung

Aus dem Videobeitrag von Eva von Redecker bei dem Abendpanel

Anmoderation nennt ein paar spannende Punkte:
– Es wird nicht nur Arbeit ausgebeutet, sondern auch Leben zerstört.
– Wir wissen noch gar nicht genau, was mit Vergesellschaftung gemeint ist.
– Sie ermöglicht jedenfalls konkrete Transformationsprojekte zu denken
– Während private Aneignung versucht zu verschleiern, dass alle am Produktionsprozess beteiligt sind

Daniel Loick über Zusammenhang von Privateigentum und Rassismus

Sklaverei war nach Daniel Loick die Idee, dass auch Menschen Eigentum sein können. Whiteness as property sorgt zum Beispiel für Zugang zu Staatsgewalt und Verfügungsgewalt über schwarze Körper. Die Kolonialismus-Narrative lautet dabei: Indigene Landnutzung ist Verschwendung oder nach John Locke “brach liegen lassen” durch unzivilisierte Wilde. Privateigentum hat dem Kolonialismus zum Durchbruch verholfen.

Kämpfe um Flucht und Migration basieren auf dem Phantombesitz “Das ist unser Land.” Die Fremden kommen, um unseren Reichtum und Arbeitsplätze zu stehlen, weswegen eine Festung Europa zu erreichten sei. Dem setzt Loick den Wunsch entgegen ein Refugium für alle Menschen aufzubauen, verbunden mit der Idee der Commons, die versucht private Verfügung über Dinge zurückzudrängen und eine Allmende auszubauen. Einfach weil sie Menschen mit Bedürfnissen sind, egal woher sie kommen. Er nennt Infrastruktur in Form von Kommunikation, also kostenlosem WiFi und Medizin als Beispiele und betont die Notwendigkeit von internationaler Solidarität sowie klarer antirassistischer Abgrenzung.

Rabea Berfelde über Vergesellschaftung im Sinne DWE

Rabea Berfelde betont, dass die Veränderung der Eigentumsstrukturen kein Selbstzweck sind. Es geht um gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung und radikale Demokratisierung. Vonovia & Co sind auch Finanzmarktakteure mit strukturell angelegten Verwertungszwängen. Doch Wohnraum darf kein Anlageobjekt sein.

DWE nennt drei Kriterien für neue Bewirtschaftung

  1. Zweckgebundene Profite
  2. Angepasste Preisbildung über Leistbarkeit von Wohnraum (max ⅓ des Einkommens)
  3. Direkte Allokation von Wohnraum

Für die Demokratisierung schlagen sie ein Rätemodell vor. Im Kern geht es dabei darum, dass die, die betroffen sind, auch mitentscheiden können. Das würde automatisch auch die ökologische Frage aufwerfen, sorgt doch der Immobiliensektor aktuell für 31% CO2-Emissionen in Deutschland.

Wir müssen Verfügungsgewalt über Eigentumsstrukturen zurückgewinnen!

Rabea Berfelde (DWE)

Franziska Wiethold über die Perspektive der abhängig Beschäftigten

Der Stolz auf die eigene Arbeit ist verbunden mit der Verletzung durch die eigene Machtlosigkeit: “Wir sind doch eigentlich die, die die Werte schaffen. Was haben wir hier eigentlich zu sagen?” Doch Arbeitsstolz definiert sich oft auch über die Abgrenzung gegenüber anderen.

Solidarität fällt nicht vom Himmel

Franziska Wiethold

Arbeitgeber*innen sind Stolz auf ihre mächtigen Arbeitgeber wie Daimler oder BASF. Franziska Wiethold plädiert deshalb für eine neue Bescheidenheit. Niemand hat das Große Ganze im Blick, wenn Ende Gelände die Arbeiter*innen von Kohlekraftwerken als Drecksschleudern bezeichnen. Unternehmen in Arbeiter*innenhand (Sanders & Corbyn) will sie nicht. Ein Markt jenseits von Kapitalismus kann funktionieren – wenn diese hart reguliert werden.

Franziska Wiethold spricht drei selbstbezeichnete “Minenfelder” an:

  1. Inwieweit können wir mit einer demokratischen Entscheidungsstruktur über Befriedigung von Bedürfnissen entscheiden? Deutsche Arbeiterbewegung hatte heftigen Trend zur protestantischen Askese. Es stellt sich die Frage: Was unterwerfen wir dem? Die Hochphase der Genossenschaften gipfelte in dem Slogan: Was wir nicht haben, brauchen sie nicht!
  2. Wenn Gremien und Räte über Investitionen entscheiden: Springen wir nicht zu sehr auf mächtige Bewegungen an? Und zu wenig auf die, die noch keine Stimme haben bzw. sich zu ohnmächtig fühlen sie zu erheben.
  3. In Gremien gibt es einen Selbstläufer von Abschottung. Es gilt über die Sogwirkung von solchen Institutionen nachzudenken, um die Rückkoppelung mit Betroffenen sicherzustellen.

Diskussion: Alles vergesellschaften, Lohnarbeitszwang, konkrete Projekte, Bedingungen für Radikale Demokratie, Arbeitsstolz, Bürgerräte

Daniel Loick plädiert in der Diskussion dafür alles zu vergesellschaften, insbesondere auch immaterielle Güter wie Patente. Strategien neben dem Volksentscheid seien dabei logischerweise Besetzungen. Es gelte “Whatever works” auszuprobieren und miteinander zu verbinden. Ein möglicher, anzustrebender Wegfall von Lohnarbeitszwang könne demokratische Teilhabe und damit Teilnahme an verschiedenen Räte-Pleni ermöglichen. Loick erlebt direkte Selbstorganisation häufig aus krassen gesellschaftlichen Krisensituationen als Überlebensprojekte und nennt Griechenlands Fabrikbesetzungen oder cooperation jackson.

Rabea Berfelde betont, dass Vergesellschaftung nicht nur als Utopie und alternative Wirtschaftsweise gedacht werden solle, sondern auch immer die Frage mitzudenken ist: Wie lässt sich das in konkrete politische Projekte übersetzen? Berfelde betont die aktuell fehlenden Bedingungen, um individuelle Bedürfnisse kollektiv zu verhandeln: Wie können wir das zurück erlangen? 

Franziska Wiethold ruft zur Suche nach Möglichkeiten zur stärkeren Implementierung gesellschaftlicher Interessen auf. So sei eine sozial-ökologische Transformation zu binden an Verpflichtungen (Beispiel Automobil). Statt der Sozialisierung von Verlusten seien Rechte abzusichern. Kommunen und Ländern empfiehlt sie zu klagen. Das Arbeitsstolz Thema wurde vom Publikum nochmals aufgegriffen. Wiethold plädiert dafür die Beschäftigten damit zu konfrontieren, wer alles zum Produkt beigetragen hat. Respekt vor der Arbeit der Anderen sei entscheidend, setzt aber das Selbstbewusstsein voraus, den Blick zu öffnen / nicht ständig das Gefühl zu haben, sich verteidigen zu müssen. Bürgerräte repräsentieren für Wiethold sogenannte Zivilgesellschaft womöglich besser als zur Arroganz neigende Repräsentant*innen von NGOs, Gewerkschaften und Konsorten.

Mit diesem schönen Satz von Rabea verlasse ich Tag 1:

Solidarität kann wieder gelernt werden!

Rabea Berfelde, Aktivistin bei DWE

Skillsharing und Kampagnenaufbau II: Narrative zu Vergesellschaftung und Öffentlichkeitsarbeit

Narrative: Wer erzählt wem was über wen, um was zu erreichen? 

Wer: Wir sind nicht nur die Initiative, sondern Mieter*innen und fast 60% der Berliner*innen

Wem: Menschen in ganz Berlin, Politiker- und Journalist*innen. Social Media will “einfache” Menschen erreichen, während PR mit “gebildeter” Zielgruppe zu tun hat

Über wen: SPD-Senat (Giffey & Geisel), Immobilienkonzerne. Das Zuspitzen auf Personen liegt nach Eigenaussage daran, weil Politik heute leider so funktioniert, macht es greifbarer für die Empfänger*innen. DWE versucht aber auch immer, an den Gegner*innen die größere Geschichte zu erzählen.

Um was zu erreichen: Probleme der Mieter*innen überwinden. Es muss nicht so sein, wie es jetzt ist!

Zur Verbildlichung denkt DWE sich in Personas rein: Junge Linke im Stadtkern, Rentner*innen die ihre Miete nicht mehr zahlen können, Arbeiter*innen im Plattenbau, besserverdienende Grünenwähler*innen, klassisch bürgerliche Journalist*innen, Gefühls/Bauchlinke oder Jugendliche. Hierzu gab es praktisches Testing, indem Leute aus den Gruppen nach deren Meinung gefragt wurde.

DWE setzte auf eine Politisierungskampagne über die reine Wahl hinaus, wie auch auf radikalere und beinah schon konservative Botschaften wie einerseits Enteignen und andererseits “Damit Berlin unser Zuhause bleibt”

DWE-Pressemitteilung in der Praxis

Im Workshop erarbeitete eine Kleingruppe einen Entwurf für die PM für die Konferenz. Dabei wurden tiefe Einblick in die ÖA von DWE gewährt. Sie arbeiten mit einem reproduzierbarem Setup erarbeitet, mit dem das Kollektiv, unabhängig von Einzelpersonen, in personeller Doppelverantwortung PMs erstellt: Prägnanter Titel, W-Fragen, drei Absätze, meist zwei Zitate für den Standpunkt und keine Füllwörter oder Schachtelsätze. Her mit den Verben, weg mit den Adjektiven. Aktiv schreiben. Nicht werblich, keine Superlative. Populistisch dann höchstens in Zitat.

Vergesellschaftung als Suffizienzpolitik

Jonas Lage (Doktorand Wuppertal, Uni Flensburg): Wie Suffizienz Vergesellschaftung befruchten kann

Suffizienz ist eine Strategie, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Neben Suffizienz sind auch Effizienz (Erhöhung von Wirkungs- oder Stoffwechselgrade) und Konsistenz (Schließung von Kreisläufen) etabliert. Das sind jedoch beides eher technische Strategien, während Suffizienz eher auf soziale Innovationen und absolute Grenzen (Umstieg Auto -> Fahrrad) setzt. Sustainable Consumption Corridors zeigen eine Obergrenze für Konsumguter aus sozial-ökologischer Perspektive bei gleichzeitiger Untergrenze für gewisses Maß an Konsum, dass der Mensch braucht.

Da individuelle Entscheidungen stark von Rahmenbedingungen abhängen, finden sich vor allem hier Ansatzpunkte von Suffizienzpolitik, die damit sehr gut mit Vergesellschaftung verknüpft werden könnte:

  1. Suffizienzpolitik gibt vergesellschaftlichen Unternehmungen eine sozial-ökologische Ausrichtung
  2. Suffizienzpolitik kann mit dem Argument der Grenzen von Konsum und Produktion eine Abkehr von Wachstumsorientierung befördern und damit den Diskursraum für Vergesellschaftungen erweitern
  3. Suffizienz macht durch eine Begrenzung von Konsum- und Produktionsniveaus wachstumsorientierte Geschäftsmodelle weniger attraktiv und dadurch wird Vergesellschaftung vereinfacht 
  4. Die Umsetzung von Politik der Vergesellschaftung kann von einem realpolitischeren und kleinteiligeren Fokus der Suffizienzpolitik profitieren. 

Lia Polotzek (Leitung politische Planung BUND): Wie kann Vergesellschaftung zu mehr Suffizienz beitragen? 

Lia Polotzek erklärt, dass sie jahrelang rumgelaufen sei, um nicht nur zu beeinflussen, wie produziert wird, sondern auch was und wie viel!

Sie nennt einige Beispiele, bei denen Vergesellschaftung und Suffizienz mehr oder weniger Hand in Hand gehen: Rekommunalisierung der Hamburger Energienetze, die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe (was machen wir jetzt, um sie zu demokratisieren?) , Solawi und Bürger*innenenergie.

Ihre vier Thesen, wie Vergesellschaftung zu mehr Suffizienz beitragen kann:

  1. Es gibt keinen Automatismus. Demokratischer Einfluss heißt nicht gleich, dass besser oder weniger produziert wird. 
  2. Ohne Vergesellschaftung haben wir auf jeden Fall Unternehmungen unter Wachstumszwang. Eine notwendige Bedingung von Suffizienz ist jede eine Orientierung jenseits von reiner Profitorientierung. Hier kommt die Suffizienzdebatte an vielen Stellen nicht wirklich weiter, da eine absolute Reduktion der Produktion notwendig ist.
  3. Einfluss haben erlaubt Verantwortungsübernahme. Beschäftigte und weitere Betroffene werden eingebunden.
  4. Macht- und Herrschaftsverhältnisse der Vergesellschaftungsdebatte lädt zum lernen ein. Die Schwächung der Wirtschaftslobby erlaubt erst Suffizienzpolitik.

Diskussion: Futurium, Begriffe im BUND, radikale Demokratisierung und Gefahr der Vereinahmung von Suffizienz

  • Moderation weißt darauf hin, dass die konsumistische, individuelle Verkürzung wie im Futurium ist nicht der aktuelle Stand der Suffizienzforschung sei.
  • Interne Debatten beim BUND über Vergesellschaftung bringen hervor, dass es für sie immer ökologisch funktionieren muss. Der Begriff Wirtschaftsdemokratie hat dabei bisher nicht so gut funktioniert, eher Gemeinwirtschaft (ist aber auch umstritten) 
  • In einer Kleingruppendiskussion wurde mir klar, dass viele aktuell zu wenig Verständnis von radikaler Demokratisierung haben und sie die Angst vor dutzenden Plenumssitzungen umtreibt. Hier Aufklärungsarbeit nötig, wie der Weg überhaupt funktionieren kann
  • Suffizienzpolitik ist vielschichtiger ausdefiniert, während Vergesellschaftung eher als Hammer auf Thema drauf klopft. Sie scheinen natürliche Geschwister, die gut zusammen passen und zusammen gehören. Aber suffiziente Maßnahmen sind oft nicht sonderlich emanzipatorisch. Suffiziente Mobilität in Kopenhagen funktioniert wunderbar, während die Stadt gleichzeitig eines der 10 teuersten in Europa ist. Kapitalistische Vereinnahmung als Gefahr von Suffizienz

Vernetzung für eine Vergesellschaftungsbewegung II: Bundesweite Organisierung aufbauen – Wie werden wir mächtiger?

Ferat Kocak über migrantische Organisierung und das Einfließen dieser Erfahrungen in den Vergesellschaftsungs-Diskurs

Ferat plädiert dafür, Antirassismus und Klassenfrage zu verbinden. Er stimmt ein Loblied auf DWE an. Allein die mehrsprachigen Flyer brachten zahlreiche Gesichter von Menschen zum leuchten, die sich sonst viel zu selten eingebunden fühlen. Das sei die Grundvoraussetzung für einen gemeinsamen Kampf. Vielfach winken Menschen mit Migrationshintergrund ab, wenn man mit Klemmbrett auf sie zukommt, doch DWE sammelt jede Unterschrift, jenseits vom zählbarem Ergebnis. Sie haben immer wieder Aktionen mit Fragen des Wahlrechts verbunden, was die Frage aufwirft:

Was sind weitere, scheinbare Nebenschauplätze, die es uns erlauben viel mehr Menschen einzubinden? 

Ferat Kocak (Abgeordneter für die Linkspartei in Berlin)

Laura Meschede über den erfolgreichen Kampf um ein Bosch-Werk in München

Die Stärke der Konferenz ist, dass sie Menschen von unterschiedlichsten Kämpfen vereint. Eigentlich wissen wir alle: Gesundheit ist keine Ware, wir brauchen ein Recht auf Wohnen & Rassismus ist ne Scheißidee. Oft geht es in der Logik, dass Kämpfe lange geführt, aber nicht gewonnen werden und dann heißt es: “Nur noch nen paar mehr Menschen überzeugen”

Was fehlt ist Machbarkeit. Woher kommt die Macht zur Machbarkeit? Durch Organisierung. Das bedeutet sich zu einigen. Worauf einigen? Auf die Relevanz der Eigentumsfrage. Sie verbindet die Kämpfe basierend auf Wirtschaftsorganisation und unbefriedigten Bedürfnissen.

Zwar ist die gesamte Gesellschaft bereits in die Produktion eingebunden, jedoch ist der Eigentumstitel privat

Laura Meschede, Aktivistin bei der Initiative Klimaschutz und Klassenkampf

Klassenbewusster Kampf um das Eigentum kann sich die Macht holen. Laure Meschede macht klar, was passieren muss, damit die Konzerne einlenken. Die Arbeiter*innen müssen klar sagen: “Wir arbeiten nicht mehr, wenn nicht folgendes passiert…”

Diskussion: Was wäre, wenn wir in zehn Jahren eine schlagkräftige Vergesellschaftungsbasis aufgebaut haben?

Hier konnten wenig konkrete Fragen beantwortet werden, aber es tauchten eine Vielzahl interessante Lern-Themen auf, die im weitesten Sinne alle die Macht-Frage adressierten:

  • Dezentralität: “Keine Top-Down-Organisation aufbauen, das muss unten bleiben bei den Leuten”
  • Politische Selbstwirksamkeit
  • Angebot für Politik jenseits der Parteien schaffen -> Kommt zu uns!
  • Erfolge als linkes Projekt sichtbar machen & Identität schaffen: “Da gehör ich dazu”, Vernetzung basiert auf Erfolgen & Geschichten des Gelingens
  • Was wären neben Streik Aktionen und Organisationen, die richtig weh tun könnten?
  • Wissenstransfer & Solidarität
  • Mobilisierungspotentiale wie das Pendeln zwischen Brandenburg und Berlin erkennen
  • “Macht von anderen ausleihen, während des Organizing-Prozesses”
  • “Die Leute müssen nicht Marx auswendig können, um Handlungsspielraum im eigenen Leben auszunutzen”
  • Was wäre die Idee der Vergesellschaftung über Streik? Denn: Kein Parlament der Welt wird die Eigentumsfrage für uns lösen
  • Welche Strukturen braucht das? 

Allianzen rund um die Eigentumsfrage – Wie erkämpfen wir gemeinsam Vergesellschaftungen?

Wie können wir von Fridays for Future eigentlich noch Themen setzen? Der Linke Flügel ist offen für Vergesellschaftungen aller Art. 

Lucas Wermeier (Fridays for Future-Aktivist)

Die aktuelle Wiederbelegung des Begriffs öffnet einen neuen Denkhorizont bei ver.di: Was heißt das eigentlich für uns? 

Knut-Sören Steinkopf (Gewerkschaftssekretär für Organizing/Erschließung bei ver.di)

Wir als die Linke müssen uns immer mal wieder klar machen, dass wir den Kapitalismus überwinden wollen, gerade als Teil der Berliner Regierung. Ich plädiere für ein rebellisches Regieren jenseits des Selbstzwecks.

Katalin Gennburg (Linke Abgeordnete im Berliner Senat)

Was ist eigentlich notwendig an Rahmenbedingungen zu verändern, damit Vergesellschaftung real werden kann? Wie müssten die Strukturen aussehen, in der demokratische Planung stattfinden kann? Wie kann Bedürfnisaushandlung für Betroffene aussehen? Vergesellschaftung allein ist hier noch nicht die konkrete Antwort.

Kalle Kunkel (Aktivist bei DWE)

Erkenntnisse aus der Diskussion

  • Mietenkrise wurde politisiert. Gang an die Haustüren haben wir von DWE gemacht, muss aber als Praxis beibehalten werden, während Diskurs immer mehr in abstrakte Politik-Sphären abdriftet (SPD-Strategie)
  • Schule schwänzen-Klimastreik gibt es nicht mehr, das muss man so ehrlich sagen. Stattdessen ist der globale Klimastreik inzwischen eine NGO-Demo.Was nötig ist: Repolitisierung in Schulen und das tragen in Unis. Das heißt in konkrete Kämpfe reingehen & Besetzen
  • “Wir fangen als Gewerkschaften ja immer bei uns im Betrieb an” Das ist der Horizont auf dem man agiert. Kontext des Unternehmens. Bewusstsein der ÖPNV-Kolleg*innen ist nicht der, der Klimaschützer. In Koop mit FFF haben wir 36 Unternehmen lokal bestreikt – und zwar jenseits von öffentlichkeitswirksamen Pressekonferenzen mit Luisa Neubauer
  • Giffey sagt, sie wolle Kooperation mit den Konzernen & nicht enteignen. Damit ringe die Linke jeden Tag. Das Kern-Problem in der Regierungskrise: Einzelne der SPD sind dezidiert dafür da, einen anderen Kurs von ganz oben durchzuorchestrieren. Wenn sich hier nichts tun, verlassen wir diese Koalition
  • Der Volksentscheid setzt auf eine staatliche Lösung – und dafür ist ein Wechselverhältnis von sozialer Bewegung und Parteien nötig. Wegen dem internen Konflikt der Linkspartei fehlt ein strategischer Partner. Das hieß konkret bei der Ausgestaltung der Kommission: Diejenigen, die mit DWE geredet haben, können keine Entscheidungen fällen und die höchste Ebene hat sich nie ggü. DWE comitted. “Das ist für unsere Bewegung, solang es die Besetzungsbewegung noch nicht gibt, ein rießen Problem.
  • Reality Check, warum Allianzen auch nicht immer so einfach sind und eben noch nicht alles Vergesellschaftet ist. Doch es gibt Ansätze von Allianzen, auf denen wir aufbauen können bzw. die Hoffnung geben
  • Demokratische Organisierung ist nach der Lohnarbeit kaum mehr möglich. Die Lohn- und Arbeitszeitfragen sind zu lösen, damit Arbeiter*innen teilhaben können. Wie kann das gelingen? Historisch gewachsene, institutionelle Allianzen reichen als Hebel und Machtfaktor nicht. Bei der Suche nach anderen Bewegungen geht ver.di Wege, die manche ihnen gar nicht zutrauen würden.
  • Elefant im Raum: Wie groß ist eigentlich die Forderung (DWE) und was braucht es dafür? Wieso muss es eigentlich im Senat passieren? Der ist offensichtlich mit der Forderung überfordert. Die Repräsentationskrise macht die Forderung nach radikaler Demokratisierung auf.

Rebellisches Barcelona, Rotes Graz, gelb-lila Berlin – historische und aktuelle strategische Überlegungen zu Munizipalismus und linker Politik auf kommunaler Ebene

Raul Zelik über Munizipalismus insbesondere in Katalonien

Bei Munizipalismus geht es im Prinzip darum, wie man institutionelle Gegenmacht in den Kommunen / dem Lokalen jenseits des Nationalstaats aufbaut. Der Begriff wurde am meisten in der katalanischen Linken verwendet und basiert auf der Unzufriedenheit mit dem Demokratisierungsprozess nach 1978 in Spanien. Ursprünglich sollte nur dort etwas aufgebaut werden, wo es auch eine sozio-kulturelle, gesellschaftliche Verankerung gibt. Mit der Krise 2010/11 und der 15.Mai-Bewegung wurde in größerem Stil darüber nachgedacht, wie die Rathäuser erobert werden können.

Raul Zelik weißt darauf hin, dass er Anfangs begeistert von der Idee war – sechs bis acht Jahre später aber eine Abkoppelung von der Basis festzustellen sei und wieder Kompromisse mit ökonomischen Lobbys geschlossen werden. Zwar habe Barcelona heute gute Abteilungen für Feminismus oder Genossenschaften, aber die Sozialpolitik sei over all gescheitert.

Was in Deutschland über Barcelona erzählt wird, ist viel zu positiv! Die realen Errungenschaften sind zwar wichtig, aber klein.

Raul Zelik, Aktivist und Autor

Der Begriff des Munizipalismus sollte für einen Spielfeld-Wechsel sorgen, aber die Kräfteverhältnisse haben sich nicht geändert. Wie verändern wir die Kräfteverhältnisse? Zelik ist überzeugt, dass das nur über Mut und Organisierung von unten wie bei DWE gelingen kann. Denn rebellische Städte im internationalen Verbund sehen sich zwangsläufig starken Gegenbewegungen der bürgerlichen Nationalstaaten ausgesetzt, die häufig das Verfassungsgericht auf ihrer Seite haben. Zelik plädiert dafür möglichst viel Rätespezfisch zu lösen.

Alex Heiter über die Geschichte der Mietenkämpfe bei DWE

DWE ist ein Kind der Berliner Verhältnisse, der Privatisierungswelle und Finanzierungsprobleme seit den 90ern und des Staatsversagens im Wohnungsbau. Auch wenn es mal anders war, ist der Ruf der Immobilienkonzerne in Berlin seitdem extrem schlecht. Zivilen Ungehorsam gegen Zwangsräumungen oder Netzwerke gegen Zwangssanierung etc. gibt es seit langem. Diese kleiner Kämpfe um Häuser blieben bisher ohne gemeinsame Richtung, auch wenn Erfolge wie “Google kommt nicht nach Kreuzberg” errungen werden konnten.

Volksentscheide wie der Energietisch, Tempelhofer Feld und Mieten-Volksentscheid 2015 waren von Anfang an Ansprechpartner*innen von DWE. Das Learning war, einen Beschlussvolksentscheid aufzusetzen, der zwar ohne rechtliche Bindung bleibt, aber deutlich macht, wie ein Alltagsproblem praktisch gelöst werden soll. Dem Senat muss eine starke Öffentlichkeit entgegen gesetzt werden. Dabei sei die radikale Zuspitzung durch die Enteignungs-Forderung wichtig, wenn auch mutig, gewesen, so Heiter. Sie verweist außerdem auf das Strategiepapier Das Rote Berlin der Interventionistischen Linken, das eine wichtige Grundlage für viele Ansätze der Kampagne darstellte.

Diskussion: Politik verändern, Gegenmacht, Graz, Vertauensverlust, Selbstbewusstsein

  • Heiter: Hat DWE wirklich Politik verändert? Wie man Politik miteinander macht wurde weiterentwickelt. Stadtpolitik ist beispielsweise traditionell stark von Männern besetzt. DWE will da etwas dagegen setzen, zum Beispiel kollektivierte ÖA. Dabei geht DWE Weg von reiner Kritik gegenüber den von der Presse aufgebauten, informellen Ansprechpartner*innen a la “Du machst das immer, immer rufen sie dich an.” Stattdessen werden Austauschräume geschaffen. Informalität der Presse konnte DWE nicht aushebeln: Sie wollen mit denen sprechen, die sie kennen. Doch nicht die Presse darf sich, analog zur Polizei bei Demos, die Vertreter*innen der Bewegung aussuchen und sie zur Gallionsfigur erklären. Deshalb wurde auf die Verbreiterung der personellen Basis für dieses informelle durch kollektives Lernen gesetzt. Es gibt klare Talking Points und tolle, vielfältige Sprecher*innen, die sich über Jahre entwickelt haben. Im Buddy-System wird sich gemeinsam ordentlich vorbereitet. Es gilt immer wieder gegen interne Machtkonzentration vorzugehen, Raum & Zeit für Wissensvermittlung schaffen, diskutieren lernen und gegen externen Zeitdruck verteidigen.

“Wir machen Basisdemokratie, das dauert” muss einfach mal gesetzt werden. Genau deswegen machte der RBB eine Liveschalte, weil sie wissen wollten, wie DWE das mit der Komissionsbesetzung macht

Alex Heiter (Aktivistin bei DWE)
  • Heiter: Es stellt sich die Frage, ob Parteien bereit sind Macht abzugeben an soziale Bewegungen und damit auch einem Vertrauensverlust entgegen zu wirken. Traditionelle Institutionen erleben DWE als Machtverlust / bedrohlich, weil hier gezeigt wird, wie im Kleinen Themen und Räume angeeignet werden. Doch DWE bräuchte auch einen Fuß in der Tür bei Grüne oder SPD.
  • Heiter: Die Personen aus der Linkspartei, die entscheiden, sprechen nicht mit uns. Für DWE ist das ganz klar ein Verschleppungsgremium. Senator*innen haben vorbei an Fachpolitiker*innen eine Liste zur Entsendung der Leute erstellt. Hier hat die soziale Bewegung immer einen kürzeren Hebel und kann nur verlieren. Die Öffentlichkeit kann nicht mehr hergestellt werden. wir können unsere Prinzipien nicht mehr einhalten und wir bekommen Beißhemmungen, also können Menschen mit denen wir zusammensitzen, nicht mehr so kritisieren.  
  • Zelik: Kern transformatorischer Macht ist die Organisierung der Vielen – und das hat DWE geschafft, denn plötzlich stehen ganz andere Dinge wieder zur Debatte. Ist die Gegenmacht groß genug, können dann auch Forderungen in einer Mitte-Rechts-Regierung durchgesetzt werden. Radikaldemokratischer Ansatz muss dabei in allen Lebensbereichen als Selbstanspruch gelten. Zwar gäbe Möglichkeiten radikaldemokratischer, horizontaler Verankerung in Parteien und Gewerkschaften – aber aktuell ist davon überhaupt nichts zu sehen. 
  • Zelik: KPÖ in Graz ist mit Fokus auf Mietenpolitik über Jahrzehnte gewachsen. Sie sind unkorrupt, haben kein Fokus auf Posten, denken repräsentativ-bescheiden.
  • Anmerkung aus dem Publikum: Verfassungsrechtlich ist Enteignung ein verschleierter Rückkauf, dem Konzerne zustimmen müssen

Schön, wenn Vergesellschaftung ein Hype-Wort wird und es in Bewegung bringt. Wir bei DWE haben aber schon auch ne ganz klare Vorstellung, was das für uns heißt.

Alex Heiter (Aktivistin bei DWE)

Guess who’s back? – Die Eigentumsfrage

Orga-Team Rück- und Ausblick: 

Wir sind stolz auf die hunderten, aktiven Anmeldungen aus NGOs, Gewerkschaften, Linkspartei, Bewegungen und kritischen Wissenschafter*innen. Der Volksentscheid hat einen politischen Raum geöffnet, in den aktuell u.a. Hamburg enteignet! und RWE enteignen vorstoßen.

Wie kann eine gemeinsame Orientierung auf die Eigentumsfrage gelingen? Nur Sektorenübergreifend und bis in vermeintlich private Sphären hinein. Wir wollen alles ändern. Enteignen, demokratisieren und Gemeinwirtschaft statt Profite sollen in den Mittelpunkt rücken. Sie haben das Potential für eine verbindende Klassenpolitik im globalen Süden wie im Norden.

Offene Fragen sind dabei unter anderem:

  • (Wie) Kann Zuspitzung auf Eigentumsfrage in politischer Praxis funktionieren? 
  • Inwieweit wollen wir in bestehenden Strukturen bleiben, in welchen Verhältnissen stehen wir zu ihnen und wie agieren wir als soziale Bewegung?
  • Wie organisieren wir eine Bewegung, bei der Leute mitmachen können, die nicht drei mal die Woche auf Pleni gehen können? 
  • Wie brechen wir Grenzen zwischen Organisationen auf, wenn weiter wie bisher reicht nicht ausreicht?
  • Was können wir mitnehmen, was sind konkrete nächste Schritte, wo können wir in einem, zwei und zehn Jahren stehen? 

Was hab ich mitgenommen?
Diskussionen über Klasse, Eigentum, Ziele sind in der Intensität neu.
Was wir brauchen:
1. Umgang mit Konkurrenzsituation finden, denen vergesellschaftete Organisationen ausgesetzt sein werden.
2. Eine Vergesellschaftung jenseits von Staatlicher Verwaltung.
3. Erfahrung, Solidarität und immer den Keim des Neuen, um einen kulminierenden Moment der Macht herbeiführen zu können.

Laura Meschede, Aktivistin bei der Initiative Klimaschutz und Klassenkampf

Ich sehe einen grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Umbau als Konsens im Raum. Aus der Klimaperspektive ist Eigentumsfrage essentiell, die außerdem Kämpfe verbinden kann. Die daraus resultierende Demokratisierung stellt auch immer die Frage, wie Arbeit verteilt ist. Streit sehe ich hinsichtlich der Rolle des Staates, Revolution oder Transformation, Zeithorizont und der Anstrengungs-Toleranz.

Ruth Krohn, Konzeptwerk Neue Ökonomie

Vergesellschaftung ist wieder sagbar gemacht worden. Was heißt das jetzt in unseren ganz konkreten Bereichen? Das ist die große Klammer. Dabei sollte das Ziel nicht eine neue Vergesellschaftungsbewegung sein, sondern darüber nachzudenken, wie politische Rahmenbedigungen verändert werden können.

Julia Dück, Rosa Luxemburg-Stiftu

Erkenntnisse aus der abschließenden Diskussion

Gewinner der Energiekrise sind die fünf großen Konzerne, die das letzte Vierteljahr 60 Milliarden Gewinn gemacht haben. Wie kann da eine linke Mobilisierung gelingen? Was ist ein konkretes Angebot / eine Handlungsperspektive für Menschen jenseits von Forderung an den Staat? Beispielhaft wird Don’t pay UK genannt.

Es hilft, wenn wir uns auf ähnliche Konzepte beziehen, um eine Diskursintervention zu ermöglichen, konkret also die Richtungsforderung Vergesellschaftung als linker Horizont rund um Demokratisierung und die Eigentumsfrage. Die Eigentumsfrage steht immer hinter den Krisen. Die Machtfrage lässt sich nur über Organisierung stellen. Doch die Verbindung der Kämpfe bleibt eine große Herausforderung. Konkret ist die Klimabewegung schlecht organisiert in den Milieus, die jetzt unter den Energiepreisen am meisten leiden. Solidarität ist dabei das Stichwort. Während die Hafenarbeiter*innen in Hamburg sich zuletzt auch solidarisch gegenüber dem Gesundheitssektor gezeigt haben, kam ein Wunsch aus dem Publikum auf, die Bewegung müsse auch, und gerade jetzt, in die Ukraine getragen werden.

Mit Elan für eine Vergesellschaftungsbewegung! Es war schon immer das Richtige & ist jetzt gerade möglich. Vergesellschaftung greift wunderbar das Spannungsverhältnis von Realität und Revolution auf.

DWE-Aktivistin aus dem Publikum

Zum Schluss der Runde wird der Wunsch nach protoypisierenden Utopien und dem fleischlich-genüsslichen geäußert, sowie die Notwendigkeit eines klaren, verbindenden Narrativs über die verschiedenen Bereichen hinweg betont.

Persönliches Fazit

Dass die Eigentumsfrage zu meinen Lebzeiten nochmal so heiß werden würde, hatte ich nicht erwartet. Als verbindendes Element von vielen guten Ansätzen und Aktionen da draußen, könnte hier eine neue, hoffnungsstiftende Energie entstehen. Viel wird davon abhängen, wie die Aushandlungsprozesse zwischen den entsprechenden Organisationen verlaufen. Damit wird das Herzstück der Vergesellschaftung zur Bedingung der Möglichkeit: Nur wenn die Akteure einen gesunden Umgang mit radikaler Demokratie in Theorie & Praxis finden, hat das von DWE geschaffene Momentum eine realutopische Chance.

to be continued…

Blogadmin, kritischer Zukunftsforscher und Realutopist. Mehr über den Blogansatz unter dem Menüpunkt Philosophie.

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