Purpose Economy: Wer, wie, was – wieso, weshalb, warum?

Am gestrigen Dienstag (23.1.19) besuchte ich die Markthalle IX. um mir  gehypte Event “Why self-owned companies are needed to unfuck our economy” anzusehen. Einhorn Kondome überlegt anscheinend sich der Purpose Economy anzuschließen und wollte diese Gedanken öffentlich reflektieren. Die Nachfrage war so groß, dass das Event zweimal auf eine größere Veranstaltungslocation hochgebucht wurde. Letztlich wurden über 500 kostenlose Tickets gebucht und die Warteliste umfasste nach eigenen Angaben nochmals über 600 Menschen. Einhorn ließ sich die Pointe nicht nehmen, den Einlass dann nicht zu kontrollieren. Genau mein Humor. Doch nun zum Inhalt des auch als Livestream verfügbaren Events. 

Vorstellung Purpose Economy

Nach kurzem Warm-Up durch Waldemar (Co-Founder Einhorn) stellte Armin Steuernagel die von ihm mit initiierte Purpose Economy vor. Dafür bezog er sich zunächst auf das bestehende Wirtschaftssystem, bei dem bei Startups primär die GründerInnen und InvestorInnen (-> Anteilseigner) gewinnen – durch die Wertsteigerung der von ihnen gehaltenen Anteile. Nach Armins Aussagen geht es um Money und Power. Für Geld Macht kaufen – das können zumeist nur Erben oder Konzerne. Diese Machtungleichheit will die Purpose Economy durchbrechen. 

Zwar wurde in der Startup-Szene schon immer von Purpose gesprochen, doch scheint sich das viel mehr als Scheinwelt zu entpuppen – denn rein rechtlich arbeiten die Mitarbeiter für die Anteilseigner. Die Besitzer. Kurz gesagt: Eigentlich arbeitet die ganze Gruppe für das Purpose – aber nur Anteilseigner profitieren. 

Historische Beispiele wie Zeiss von vor über 100 Jahren zeigen jedoch, dass auch die ganze Gruppe profitieren kann – wenn die Firma in die Hände der Mitarbeiter gelegt wird. Weitere genannte Beispiele waren u.a. Bosch, Alnatura oder Dr. Hauschka und damit keinesfalls nur kleine Social Startups, die sowieso die Welt verbessern wollen. Die Überlegungen der Purpose Economy haben zwei entscheidende Faktoren identifiziert, bei deren Etablierung sie interessierten Unternehmen helfen:

  1. Self Governance: Macht ist nicht kommerzialisierbar. Sie wird immer in Händen der Mitarbeiter verbleiben. 
  2. Purpose: Wofür kommen wir als Gruppe zusammen, um zu arbeiten? Die Identifizierung dieser Sache sorgt dafür, dass der Profit zurück in die Firma geht, um den Purpose zu mehren.

Weitere Detailfragen waren für mich zum Einstieg in das Thema nicht so relevant. Notiert hatte ich mir noch eine neue Form von Venture Capitalists, die durch die Verbindlichkeit von Purpose Unternehmen zwar keine Macht kriegen, aber dennoch profitieren können. Bezüglich des Gehalts erhalten Mitarbeiter schon aus rein rechtlichen Gründen normale Marktgehälter. 

Case Ecosia als Purpose Unternehmen

Christian Groll wollte nach seiner ersten Karriere etwas zurückgeben und nicht einfach nur spenden. Also gründete er Ecosia – die Suchmaschine, die Bäume pflanzt. Über die Jahre stieg der Erfolg – doch einfach nur verkaufen kam für ihn nicht in Frage. Christian sieht Ecosia als Movement, das nicht ohne Mitarbeiter und Kunden möglich wäre. Deshalb soll 

Ecosia immer im Sinne des Purpose weitergeführt werden – als Full Profit Business im Besitz der Mitarbeiter.  Gemeinsam mit der Purpose Economy entwickelten sie ein Modell, durch das die Anteile nur noch an Mitarbeiter verkauft werden können: 1 prozent fur 1€. Die Purpose Economy hält 1% an Ecosia und damit ein Vetorecht für zwei Dinge: 

  1. Profitauszahlung an die Inhaber 
  2. Verkaufsabsicht an Außenstehende

Damit soll der Profit voll in das Purpose fließen. Christian ist sich dessen bewusst, dass er so zwar nie Millionen zur Verfügung haben wird. Er hat sich gefragt: Wie viel brauche ich? Und ein gutes Gehalt reicht – aktuell verdient er nicht mal am meisten bei Ecosia.  Bei den Gehältern orientiert man sich ganz normal an Marktpreisen, es gibt keine Zwangstransparenz des Gehalts. Allgemein entstand das Gefühl – zum Beispiel ist Ecosia relativ hierarchisch – dass hier kein Case gezeigt wird, der sofort alle begeistert. Es ging anscheinen wirklich um Purpose. Christian definiert Purpose als: Group of people who want to do something meaningful –

Sein Appell: Eine Purpose Economy würde die ganze Art des wirtschaftens ändern – denn wer würde noch Waffen herstellen? 

Case Soulbottles als Purpose Unternehmen

Die beiden Gründer wollten bei Soulbottles aussteigen, da sie seit Start kaum mehr Pausen hatten. Sie initiierten Mitte 2016 den Prozess zur Umstellung hin zum Purpose Unternehmen, welcher Anfang 2018 abgeschlossen wurde. Auf dem Podium saß mit Marketingchefin Laura Zuckschwerdt eine Angestellte, die den Prozess entscheidend mitgestaltet hat und über zentrale Fragen berichtete. 

Was ist eigentlich der Purpose? In einem Workshop identifizierte das Team gemeinsam den Purpose von Soulbottles, der ungefähr so geht: Menschen mit schönen Produkten zu mehr Nachhaltigkeit motivieren. Die plastikfreien Glasflaschen “Soulbottles” regen dazu an mehr Leitungswasser zu trinken und so Plastikmüll einzusparen. 

Wie kommen die beiden Gründer raus? Es gibt eine Risikobelohnung für die Gründer, so wie auch für die sechs frühen Mitarbeiter, die vor Break Even dort angefangen haben: “How much? Who? Who got how much?” Konservativ konnte Soulbottles damals auf einen Marktwerkt von ca. 750k-800k geschätzt werden. Diese Zahl wurde kombiniert mit der Frage, wie ein normaler, vergleichbarer Job in der Zeit bezahlt gewesen wäre. So stand irgendwann die diffizile Entscheidung, die durch systemisches Kondensieren innerhalb aller Menschen in der Firma (30) gefällt wurde: Soulbottles zahlt nun eine Kompensation über 5 Jahre (insgesamt minimum 600k bis maximum 1000k), die an den Revenue gebunden ist. 

Was hat sich für die Mitarbeiter geändert? Gar nicht so viel, denn es gab auch vorher keine hierarchische Boss-Kultur. Soulbottles setzt auf Transparenz zum Beispiel bei ihren 6-7 Gehaltsstufen, Entscheidungen via Holacracy und gezielte gewaltfreie Kommunikation.

Durch die Umstellung zu einem Purpose Unternehmen – wie das genau vonstatten ging hatte ich auch am Ende noch nicht verstanden – wurde die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter gestärkt, die sich nun ganz andere Fragen bei der Entscheidungsfindung stellen – “ich will es für mich gut machen.” In der Außenwahrnehmung werden Mitarbeiter oft gefragt, ob sie die Gründer ist wären, so wie sie auftreten – Antwort: “we are soulbottles”

Laura appelliert an die Mitarbeiter eine Purpose Economy aktiv einzufordern!

Fazit

Mein Eindruck nach der Veranstaltung ist, dass das ganze Purpose Economy-Thema erstmal ne gute Entwicklung darstellt. Das Potential erschließt sich mir noch nicht ganz – auch wenn eine an Purpose ausgerichtete Art des Wirtschaftens vermutlich disruptive Veränderungen gerade im Umgang miteinander nach sich ziehen dürfte. Die beiden Beispiele zeigten das nur bedingt, auch weil die Einblicke für mich nicht tief genug waren. Trotzdem Hut ab vor Ecosia und Soulbottles für diesen mutigen Schritt. Möge die Geschichtsschreibung sie in Zukunft belohnen! 

PS: Gründerszene hat auch einen Bericht über das Event veröffentlicht.

Blogadmin, kritischer Zukunftsforscher und Realutopist. Mehr über den Blogansatz unter dem Menüpunkt Philosophie.

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