Drei Wochen Co-Living im Homeoffice Madeira: Ein Erfahrungsbericht

Nachdem wir letzten Winter das deprimierend grau-matschige Berlin für zwei Wochen gegen einen Gran Canaria-Urlaub eintauschten, entstand bei uns schnell die Überlegung: Wie wäre es für zwei Monate abzuhauen und dann aber auch von Übersee aus zu arbeiten? Eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema brachte uns zwei Erkenntnisse: 1. Madeira scheint aufgrund von perfekt ausgebautem Internet, Wetter, Entfernung, Kriminalitätsrate und Veggie-Optionen sehr gut geeignet. 2. Zwei Monate “nur” zu zweit ist selbst für die stabilste Beziehung eine Herausforderung.

Wir teilten unseren Madeira-Trip im Januar und Februar 2023 also auf: Zwischen zwei Wochen Funchal und drei Wochen im warmen Calheta platzierten wir drei Wochen Co-Living im Homeoffice Madeira. Wie fühlte sich Co-Living für mich an, wie verbindet es sich mit Co-Working und was habe ich aus der Zeit mitgenommen? Das reflektiere ich in diesem Blogbeitrag.

Funfact:
Während der Begriff “New Work”
nur im deutschsprachigen Raum verhandelt wird,
ist das Co-Living-Movement etwas,
das sich gerade weltweit ausbreitet.

Madeira & die Homeoffice Villa als Rahmen

Zunächst einmal: Wie krass schön ist diese Insel eigentlich? Über ihren Ruf als Blumeninsel hinaus hat sich Madeira uns auch als grünes Paradies mit Wasserfällen, Regenbögen und wunderbarsten Wolkenspielen vorgestellt.

Madeira, von der Fläche etwas kleiner als Berlin, vereint vier Klima- und 24 Mikroklimazonen. Dadurch spielt man die vier Jahreszeiten manchmal an einem einzigen Tag durch. Das verlangt allerdings einiges an Übung oder wenigstens Vorwissen. Wir hatten uns, wie fast alle anderen Besucher*innen, auf deutlich wärmere Temperaturen in der Villa eingestellt. In meiner Fantasie hatte ich mich auf tägliches After Work-Planschen im Meer gefreut. In der Realität kaufte ich mir in der ersten Woche Hausschuhe, weil auch auf Madeira die Temperaturen in den etwas höheren Gefilden im Januar und Februar häufig nicht über 15 Grad steigen, was die heimischen Häuslebauer jedoch nicht unbedingt dazu ermutigt, entsprechende Heizungen einzubauen. Allerdings sind die Temperaturen und der Regen hauptverantwortlich für die vielfältige Schönheit der Flora & Fauna der Insel. Und die weiteren Faktoren haben dann doch alle gepasst…

Homeoffice Madeira Keyfacts:

– Aufenthaltsdauer: 1-4 Wochen
– Für alles notwendige zum Leben und Arbeiten ist gesorgt
-Mit der Splitwise-App werden alle Ausgaben auf alle aufgeteilt
– Zwei Autos stehen zur Verfügung und kosten 400€/Anzahl der Mitbewohner*innen
– In den fünf Zimmern kommen maximal zwölf Menschen unter.
– Samstag ist An- und Abreisetag und es wird geputzt, sodass wir raus müssen.
– Krass gutes Leitungswasser frisch aus der Quelle

Das Wichtigste am Haus ist aber natürlich die grundsolide Kaffeemaschine. Ah – und vielleicht auch die Mitbewohner*innen.

Das Miteinander: Ausflüge, connecten und positive Rückmeldungen

Der klassische Tagesablauf sah fast immer so aus: Aufgrund der einstündigen Zeitverschiebung eher früh mit der Arbeit loslegen und dann ab 15 oder 16 Uhr raus an die frische Luft aka Wetter checken und der Sonne hinterher. So entstand bei mir oftmals nochmals eine zweite Energie, während ich in Berlin im Winter viele Abende wohl eher auf dem Sofa verbrachte hätte.

Ein Highlight war auch das Erstliga-Spiel zwischen Marítimo Funchal und dem portugiesischem Top Team FC Porto (0:2), bei dem wir den gerade als kommenden Top Torwart gehandelten Diogo Costa – seit Kurzem Nummer 1 in der Nationalmannschaft und auch beim FC Bayern im Gespräch – beim spielen vieler langer Bälle ins Leere bewundern konnten. Neben dem Spiel war deshalb eher das multinstrumentale Spiel der Fans und die beste vorstellbare Stadionwurst aka frisch gemachtes Bolo do caco besonders erwähnenswert. Wo wir beim Fußball sind: Die Sitzungen bei einem Profi-Physio für 40€/h, der ansonsten auch mal Fußballer behandelt, war bei weitem das beste, was ich in der Hinsicht bisher erleben durfte! Zugleich ehrte mich, dass ich als Zukunftsforscher in seine Liste der interessantesten Menschen aufgenommen wurde…

Als andauerndes, herauszuhebendes Highlight möchte ich jedoch das Erkunden der Insel via Hiking und Walking hervorheben. Hikes und Walks unterscheide ich dabei durch die Steilheit der Wege. Wir haben uns relativ schnell auf die flachen Levadas (das sind vor Jahrhunderten künstlich durch Sklaven angelegte Wasserläufe) und das Erkunden der kleinen Städtchen und Dörfer mit größtmöglichem Sonnenpotenzial spezialisiert. Eine andere Gruppe ging dafür meist eher den harten Weg.

Das reichte trotzdem schon, um uns mit knapp 8.000 Schritten im Januar so nah wie nie an die als Ideal verschrienen 10.000 Schritte anzunähern. Über 2.000 Schritte mehr als für uns in Berlin üblich!

Dazu die Sonne und die leckere Abwechslung: Bolo do caco, frischer Fisch, hier angebaute und damit besten Gewissens zu verzehrende Mango, Avocado, Banane, Maracuja und viele weitere, mir zuvor unbekannte Früchte. All das wird aber erst durch das lockere Miteinander und die gemeinsame Zeit mit Menschen in Wert gesetzt.

Im Homeoffice Madeira kann ein Aufenthalt von 1-4 Wochen gebucht werden. Entsprechend erlebten wir den 23 Tagen unseres Co-Living-Erlebnisses einige Wechsel in der Gruppe, damit einhergehend sich ständig verändernde Gruppendynamiken und ein immer wieder sich auf’s neue Kennenlernen. Ich merkte, wie meine Offenheit dafür irgendwann etwas abnahm. Das mag auch mit der Zusammensetzung der Gruppe zusammenhängen: In den drei Wochen waren von den insgesamt 19 Mitbewohnerinnen (ja, nur Frauen) fast alle festangestellt und aus Deutschland. Umso wichtiger, dass wir in gemischten Gruppen trotzdem Englisch sprachen, was mir durchaus auch für mein aktuelles EU-Projekt zugutekommt.

Kommunikation! Nichts ist wichtiger für Co-Living mit im Prinzip unbekannten Menschen. Es geht um Absprachen, Rücksichtnahme, Ausflugsplanung, den Umgang mit kaum Rückzugsmöglichkeiten und dem zu erwartenden Smalltalk, wenn ich mir nur mal nen Kaffee holen gehen will. Kommunikation war es auch, die uns einen unserer schönsten Abende bescherte. Denn eine Mitbewohnerin musste aufgrund beruflicher Verpflichtungen einige Tage früher abreisen als geplant und sollte so nicht wie gedacht ihren Geburtstag auf Madeira erleben. Kurzerhand verlegten wir ihren Geburtstag eine Woche nach vorn. Die Crew enterte die benachbarte Poncha-Bar, in der wir uns ausgiebig mit dem lokalen Rum-Punsch vergnügten und nebenbei mit unserer Bassbox den Laden übernahmen.

Neben den gemeinsamen Ausflügen bleiben das gemeinsam gekochte Essen und die Restaurant-Ausflüge hängen, weil gemeinsam Essen nochmal auf nem anderen Level zum in Kontakt kommen einlädt. Gleiches gilt für die regelmäßigen, gemeinsamen Spieleabende. Auch wenn ich immer noch meiner Wizzard-Niederlage um 10 Punkte nachtrauere 🙁

Äußerst angenehm war auch die viele positive Rückmeldung, die wir und ich bekommen haben. Die Gruppe schätzte,
– unsere Art, Verantwortung zu übernehmen und zu organisieren
– das (größtenteils vegane) Kochen
– mein Holz hacken und Feuer machen
– meine verschiedenen Playlists, die die jeweiligen Stimmungen musikalisch untermalten.
– unsere Art, als Pärchen miteinander umzugehen aka “Ihr seid ja sooo süß zusammen” (dazu gleich mehr) und die wiederholte Nachfrage nach unserem Coaching in gewaltfreier Kommunikation
– unsere Menschlichkeit und das tiefer gehen an einigen, notwendigen Stellen

Gewisse Vorannahmen meinerseits über digitale Nomaden bestätigten sich tendenziell. Im Vergleich würde ich uns als deutlich mehr auf das Allgemeinwohl orientiert verorten, während viele eher einer hedonistischen Form von Selbstverwirklichung hinterherjagen. Entsprechend spielen “progressive” Werte wie Nachhaltigkeit, Feminismus oder allgemein Empathie bei uns zumeist eine größere Rolle als im Gruppendurchschnitt. So war es für uns eine Freude, zwei jüngere Frau durch ihre Schicksalsschläge (ein Beziehungsende und ein Unfall der besten Freundin) zu begleiten und zu sehen, wie sie von Tag zu Tag wieder mehr aufblühen. Für mich nehme ich mit, dass ich es vielleicht das erste Mal so gut geschafft habe, eine wohlwollend-geduldige Balance aus Kritik und Empathie auszuleben, sodass andere #goodvibesonly-Enthusiasten meinen Wunsch nach Tiefe, kritischem Nachfragen und Erkenntnisdrang weniger als störend, sondern eher als bereichernd wahrnahmen. Diese Balance versuche ich auch mit dem Artikel zu halten, denn natürlich gäbe es noch viel mehr zu kritisieren oder positiver herauszuheben, aber in diesem Beitrag kann in diesem Moment mit weniger als einer Woche Abstand auch vieles noch nicht so klar sehen.

Insgesamt wirft diese Erfahrung bei mir die Frage auf, ob es teils etwas billig von mir war, mich auf meinem Status als Introvertierter auszuruhen: Wie viel Menschen und in welchen Formen tun mir gut? Welche Barrieren müsste ich vielleicht weiter abbauen, um auch im Berliner Alltag in solche “zweite Energien”-Situationen jenseits von normalen Verabredungen mit Freund*innen sondern in Gruppen mit vielen Unbekannten zu kommen?

Arbeit: Viel, abwechslungsreich und fokussiert

Ja, es wurde auch gearbeitet! Und zwar nicht zu wenig. Der Januar war wohl einer der arbeitsreichsten Monate für mich. Neben drei neu angelaufenen Projekten als Freelancer vollendete ich mein erstes wissenschaftliches Paper und eine SciFi-Story. Meist habe ich ab 9 Uhr Ortszeit bis 15 oder 16 Uhr mit kleinsten Pausen durchgearbeitet und war dabei so fokussiert wie selten. Das Flexibilitäts-Privileg diese Zeit auf einer wunderschönen Insel verbringen zu können, macht mich dankbar. Auch wenn nach Feierabend oft erstmal die Luft raus war, ergab sich bei den folgenden Ausflügen oft noch eine zweite Energie 🙂

Co-Living als Paar: Leichter & schwerer zugleich

Co-Loving als Paar ist zugleich leichter als auch schwerer, weil man eben schon ein eingespieltes Team ist, eine Hausmacht. Wir können uns aufeinander verlassen und für uns war es oft leichter, gewisse Pläne dann auch real werden zu lassen. Auch die gemeinsame Reflexion der Dynamiken fällt zusammen leichter. Gleichzeitig nimmt das Co-Living als Paar auch etwas Freiheit bzw. erfordert zusätzliche Kommunikation.

Diese dauerhafte Rückkoppelung mit der Gruppe ist eine ganz andere Art zu leben. Tendenziell wäre uns diese Intensität aufgrund des Verlusts an Zweisamkeit für länger als vier Wochen zu krass – aber so ist es eine wunderbare Erfahrung für’s Leben, bei der wir auch nochmal viel übereinander lernen konnten.

Ich denke, die von mehreren Personen unabhängig geäußerte positive Rückmeldung für uns als Paar lag vor allem daran, dass wir zusammen ganz schön rocken. Wir gehen empathisch auf andere zu, ohne uns dabei zu vergessen. Nach zwei Wochen in Funchal mit 1-2 ernsteren Themen war es für uns auch super, in diesen angenehmen Gruppen aufgehen zu können. Dabei machten wir bis auf zwei Ausnahmen alle Ausflüge gemeinsam, kochten und spielten gemeinsam.

Außerdem konnten wir auch vieles über die frei lebenden Tiere auf Madeira lernen. Es ist ein absolutes Katzen- und Hundeparadies für Liebhaber*innen! Nicht unbedingt für die Tiere selbst, die es nicht immer leicht haben, weswegen Homeoffice Madeira auch regelmäßig an lokale Organisationen spendet.

Zwischenfazit: Madeira, Co-Living und wir sind ganz schön lovely <3

Blogadmin, kritischer Zukunftsforscher und Realutopist. Mehr über den Blogansatz unter dem Menüpunkt Philosophie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top