Unsere Top 10 Serien – nach zwei Jahren zusammen wohnen

Laut einer Studie, die klingt, als ob ich sie besser selbst gefälscht hätte, kommt Streaming nach Arbeit und Schlaf auf Platz drei der häufigsten Aktivitäten bei Menschen zwischen 23 und 38 Jahren. Unsere gefühlte Wahrheit bestätigt das. Wir praktizierten die letzten zwei Jahre auch ausgiebiges Netflix & Chill. Wie der Guardian schreibt, geht die Transformation unserer Sehgewohnheiten aber weit darüber hinaus: Erfolgsprojekte wie Breaking Bad, House of Cards oder das oscarprämierte Marriage Story sind weit vom TV geprägten “one size fits all”-Ansatz entfernt und trifft damit genau den Zeitgeist des “Besonders fühlen” wollen. Das disruptive Streaming erzeugt u.a. durch innovative, pluralistische Zugänge Binging-Effekte: Wir wollen immer mehr. 

Dieser Artikel widmet sich unseren Serien-Lieblingen aus den letzten zwei Jahren. Als wir Anfang 2021 anfingen, unsere Wohnung einzurichten, wollten wir keinen klassischen Fernseher. Wir entschieden uns für Samsungs “The Frame”, welcher als TV genutzt werden kann, ansonsten aber Kunst zeigt oder, wenn niemand in der Nähe ist, ganz aus geht. Diesen künstlerischen Aspekt beansprucht auch die neue Art der Serienkultur für sich. Ein Merkmal von Kunst ist, dass sie nicht nur weggebingt bzw. konsumiert wird. Gute Kunst will, dass etwas hängen bleibt. Sie will zur Auseinandersetzung anregen. Deshalb haben wir die letzten Monate nochmal ausführlich darüber gesprochen, welche Serien uns nachhaltig beeindruckt haben und die wir entsprechend gerne weiterempfehlen. Herausgekommen ist eine bunte, relativ spoilerfreie Liste mit vielen Netflix-Produktionen, aber auch einigen von WOW/HBO, Amazon und Joyn, die von Drama über Doku, Fantasy, Krimi, Komödie oder Coming of Age so einiges enthält. Here we go:

Jerks (Joyn): 9 von 10

Wir lieben Christian Ulmen! Hier könnte beispielsweise auch Dr. Psycho (2007-2008) oder das von Ulmen produzierte Die Discounter (seit 2021 bisher zwei veröffentlichte Staffeln) besprochen werden, die wir auch beide zusammen gesehen haben. Aber Jerks hebt sich einfach nochmal davon ab. 

Worum geht’s?

Die Art und Weise, wie die First World Problems und Vorurteile der Oberschichten-Kreativen-Szene überspitzt dargestellt und bis zum maximalen Fremdscham ausgereizt werden, sucht seinesgleichen. Den einen Minuspunkt gibt es eigentlich nur dafür, dass ich die Serie immer wieder anhalten musste, weil es mir zu unangenehm war. Von den aktuell vier veröffentlichten Staffeln haben wir die letzten beiden zusammen geguckt und freuen uns wöchentlich auf die jeweils neue Folge der fünften Staffel. Die Staffeln und Folgen sind dabei relativ abgeschlossen, gewisse Zusammenhänge versteht man aber doch nur durch das Vorwissen. Und das hat sich auch eingebrannt: Die unangenehmen Momente bleiben hängen, regen zum Nachdenken an und erinnern uns immer wieder daran: So wollen wir auf keinen Fall sein! 

Als Beispiel sei der Besuch eines Thai Massagesalons genannt, bei dem wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass das Happy End inklusive sei. Es geht also immer wieder um das Spiel mit Tabus. Der schwarze Humor wird bei Triggerthemen wie Behinderung oder Vergewaltigung bis ins Unaushaltbare ausgespielt – am Ende können sich die beiden priveligierten Männer doch immer wieder relativ glimpflich aus der Affäre ziehen.

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

In der Umsetzung sorgen die improvisierten Dialoge für besondere Authentizität. Wir haben uns auch schon gefragt, ob die krasse Interpretation der Charaktere Christian Ulmen und Fahri Yardim nicht negativ auf deren Marke abfärbt: Wie viel ist perfektioniertes Schauspiel und wie viel ist Selbstoffenbarung und damit auch Verarbeitung? 

Das dauerhafte Lügen der beiden Hauptcharaktere in zwischenmenschlichen Beziehungen macht nochmal anschaulich klar, wie wichtig ehrliche Kommunikation ist. Alles andere sorgt zwangsläufig für Abwärtsspiralen. Gerade, im März 2023, genießen wir die neue Staffel – auch wenn ich die heutige Folge mehr mit einer Bettdecke über dem Kopf geguckt habe. Jerks: Unaushaltbar gut.

New Amsterdam (Netflix): 8 von 10 Punkte

Worum geht’s?

New Amsterdam heißt ein fiktives staatliches Krankenhaus in New York. Es dient als Setting für einerseits etwas platte Soap-Storys und andererseits die mächtige Suche danach, wie wir als Individuen die Welt ein bisschen besser machen können. Wir erinnern dabei weniger die einzelnen, größtenteils abgeschlossenen Folgen, sondern vielmehr an die starke Figuren- und Beziehungsentwicklung. Dabei sind die Hauptcharaktere keinesfalls perfekt, sondern bieten gute Projektionsflächen.

Dazu zählt auch die Hauptfigur, der ärztliche Leiter, der quasi immer für andere da ist, aber sich schwertut, sich auch mal um sich selbst zu kümmern. So lernen wir seine sloganhaft vorgetragene Überzeugung von “Wie kann ich helfen?” zu schätzen, verstehen aber auch die andere Seite der Medaille. Gerührt hat uns, wie er um sich ein Team der Willigen schart, die sich von keinen Vorgaben davon abhalten lassen, das Richtige zu tun. Kleiner Spoiler: Sein Kampf ist dabei entscheidend als Inspiration für die anderen. 

Bisher haben wir nur die ersten beiden Staffeln gesehen.

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Untermalt wird die Serie von feinstem Indie-Pop. Im Vergleich zu Serien wie Grace Anatomy oder Emergency Room sticht der Anspruch dieser Serie heraus, die Gesundheitsversorgung und das dahinterliegende System besser zu machen. Der Autor hat selbst lange als Psychologe im Krankenhaus gearbeitet. 

Auch wenn es im echten Leben manchmal etwas schwerer fällt, als es so eine Soap angehauchte Serie vermittelt: Die Inspiration, dass gute Taten auch wiederum auf einen zurückkommen und der Hinweis, dass harte Momente auch wieder überwunden werden können. Das macht New Amsterdam zu einer herausragend guten Serie dieses Genres!

True Detective (Sky): 8 von 10 Punkten

True Detective ist eine der besten Krimiserien, die je gedreht wurden. Allein, weil Staffel 1 eine der besten Serienstaffeln aller Zeiten ist. Die anderen beiden Staffeln waren gut, hatten aber das Problem, gegen Staffel 1 niemals bestehen zu können. Es geht in allen dreien um crazy Polizeiarbeit mit politischen Verstrickungen, Verschwörungen der Mächtigen und das Eintauchen in deren (abgefuckte) Lebenswirklichkeit. Die Story der Polizist*innen prägt ihre Ermittlungsarbeit. 

Worum geht’s in den drei Staffeln?

  • In Staffel 1 wird ein ritueller Mord erst durch die Ermittlungsarbeiten des Duos (gespielt von Matthew McConaughey und Woody Harrelson), sowie deren persönliche Verstrickungen, wie zum Beispiel eine gescheiterte Ehe, erst richtig besonders.
  • Bei Staffel 2 rücken vor allem die Wechselwirkung von Polizeiarbeit und dem Einfluss der persönlichen Vergangenheit der Ermittler*innen in den Mittelpunkt. Die Besetzung durch Colin Farrell, Rachel McAdams und Gangster Vince Vaughn ist wieder sehr gut gelungen. 
  • Staffel 3 ergänzt das Setup um den Zeitsprung hin zu den Rentnern, die ehemals ermittelten, aber ansonsten wurde nicht mehr viel Spannendes hinzugefügt. 

Staffel 1 die bestmögliche Krimi-Serie, die man sich vorstellen kann. Die Oneshot Mittelfolge war unglaublich immersiv und mitreißend. Insbesondere was Matthew McConaughey in Staffel 1 schauspielerisch abgeliefert hat, ist wahrscheinlich das Beste, was ich jemals in einer Serie gesehen habe. Nicht umsonst kursiert auf Youtube das Video Rust Cohle – Philosophy of Pessimism (True Detective) mit 3,7 Mio Klicks. 

Ohne Staffel 1 würden Staffel 2 und 3 vermutlich deutlich besser abschneiden. In Staffel 2 wird eine immersive Gangbang-Party gezeigt, die auch Oneshot-Anleihen hat. Dabei war das Staffelfinale weniger überzeugend, sodass hier bei uns eine 8/10 steht. Staffel 3 fällt insgesamt etwas ab (7/10). Das ergibt insgesamt eine 8 von 10, wobei gerade Staffel 1 eine 100% Sehempfehlung bekommt.  

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Bei dieser Serie sticht einiges heraus: Beispielsweise die geniale Musik, Empathie für schwierige Charaktere und Systemkritik durch das Aufschlüsseln von Machtmissbrauch. Um wahrheitssuchende “True Detectives” zu sein, müssen die Ermittler*innen immer wieder in den Grauzonen der Gesetze und Weisungen von oben zu agieren. Das ist stark und inspirierend – aber kann auch deprimierend sein. Wer gerade eine depressive Verstimmung durchlebt, sollte vielleicht nicht gerade diese Serie gucken; auch weil sie fast schon zwangsläufig so etwas Mitgefühl mit Cops und Detectives als Individuen und Menschen auslöst. Wer will das schon? 

Mare of Easttown (Sky): 9 von 10 Punkte

Worum geht’s?

Mare of Easttown ist eine abgeschlossene Kurzserie, die zwischen Krimi und Drama angesiedelt ist. Es schien mir zuerst herausfordernd, den Text nach dem über True Detective zu schreiben, aber die Serie muss sich wirklich nicht dahinter verstecken. Es geht um ein kleines Mädchen, das schon seit Jahren vermisst wird und um Kate Winslet, die als Detektiv damals an dem Fall dran war, ihn aber nicht lösen konnte. 

Die Serie ist um diese grandiose Schauspielerin aufgebaut. Es geht um sie, ihre zerrüttete Ehe, den Selbstmord des Sohnes, die Aufnahme des Enkelsohnes in das eigene Haus, weil die Mutter drogensüchtig ist und ein intensives Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter. Das Worldbuilding zeigt eine kleine Stadt in einer wunderschönen Intensität, die die Grundlage darstellt, um dem Aufrollen des Falles voller Begeisterung zu folgen. 

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Du wirst Kate Winslet folgen wollen. Sie reicht in ihrer Darstellung von Mare an Matthew McConaughey heran. Alltag, Trauer und Kleinstadtleben werden auf sehr kluge, feinfühlige Art und Weise beleuchtet. Der Schluss der Serie gelingt hervorragend. Insgesamt liefert Mare of Easttown vielleicht etwas weniger Spektakel und ist nicht ganz so ambitioniert, große Kunst abzuliefern, doch das fällt nicht weiter ins Gewicht. 

Fein werden die verschiedensten Fragen bejahend verhandelt:

  • Darf eine Ermittlerin ihren Ex-Mann vorladen, wenn sie einen leisen Verdacht hat? 
  • Ist es möglich eine Tochter als Tochter zu zeigen, ohne sie auf’s lesbisch sein zu reduzieren?
  • Kann die Komplexität von einer Familie über vier Generationen abgebildet werden, ohne im Zentrum der Handlung zu stehen? 
  • Darf verständlich gemacht werden, warum Selbstjustiz passiert und sie dennoch verurteilen?

Diese Serie arbeitet Alltagsthemen auf, die hängen bleiben. Es braucht manchmal einfach Zeit, um über etwas sprechen zu können. Das ist der Heilungsprozess, für den Offenheit nötig ist. Sich in Arbeit stürzen ist ein beliebter Verdrängungsmechanismus, Wut, oft Symptom für nicht verarbeitete Trauer. Das sind ein paar Alltagsweisheiten, die wir ca. ein Jahr nach dem Konsum dieser Serie noch im Kopf hatten, ohne dass sie uns diese platt eingehämmert hätte. Mare of Easttown – ein Geheimtipp!

Somos (Netflix): 10 von 10 Punkten

Worum geht’s?

Somos ist eine sechsfolgige Miniserie basierend auf wahren Begebenheiten. Und die haben es in sich: Es geht um den Überlebenskampf von Menschen, die in Armut leben. Ihr gewaltvoller Alltag basiert auf dem hierarchischen Prinzip der herrschenden Drogenmafia. Die verschiedenen Perspektiven, die vor der totalen Eskalation gezeigt werden, bilden das Leben verschiedener Menschen in der Kleinstadt an der mexikanischen Grenze ab. Die Verstrickungen der Schicksale werden nach und nach sichtbar. 

Nach über einem Jahr erinnern wir uns nicht mehr an jedes Detail der Serie. Doch die packende Atmosphäre macht uns jetzt noch sprachlos. Wie es in einer Rezension zu dieser Serie treffend hieß: Nach »Somos« dürfte es vielen schwer fallen, Filme und Serien über Drogenkriminalität und die mythische Figur des Narcos als bloße Unterhaltung zu sehen. 

Die Mafia-Unterorganisation an der Grenze funktioniert nicht mehr so, wie sich die Big Bosse sich das vorgestellt haben. Die Serie zeigt damit auch den Wandel vom lokalen Gleichgewicht, wo das Menschliche noch eine Rolle gespielt hat, hin zur puren Kommerzialisierung des Drogen-Businesses. Wenn das Geld gefährdet ist, kennen zentral-hierarchisch durchstrukturierte Kartelle nur die Sprache der Gewalt und da tut sich offensichtlich auch die DEA schwer, ein Gegengewicht zu bilden. 

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Die Spirale, die Somos zeigt, kann kaum mit mehr Intensität umgesetzt werden. Die Schluss-Szene ist ein dramaturgisches Meisterwerk und funktioniert nur, weil alles davor so umgesetzt wurde, wie es war. Auch, dass diese Kurzserie nur im spanischen Original mit Untertiteln verfügbar ist, tut dem Sehvergnügen keinen Abbruch, sondern unterstreicht das Authentische. Wir möchten außerdem die vielen toughen Frauen herausstreichen, die allein schon deswegen nötig sind, weil die Männer viel zu oft tot, im Kartell oder im Gefängnis sind. Beispielhaft sei eine scheinbar schlichte Hot Dog-Verkäuferin genannt, an der sich die Atmosphäre, der Überlebenskampf, die Unmöglichkeit der Nicht-Involvierung und das Überblicken der Zusammenhänge zeigte.

Die Serie macht eines deutlich: Welch Privileg, hier geboren zu sein! Lasst uns dafür kämpfen, dass es hier und anderswo nicht so schlimm ist bzw. weniger schlimm wird. 

Sex Education (Netflix): 7,5 von 10 Punkten

Sex Education steht aktuell (März 2023) bei drei Staffeln. Wir haben nur die Dritte zusammen geguckt und waren davon etwas enttäuscht. Wir geben daher 7 Punkte für Staffel 3 und unser Alter, auf jeden Fall mehr für die ganze Serie und die gesellschaftliche Relevanz. 

Worum geht’s?

Der Teenager Otis ist Sohn einer Sex-Psychologin und überträgt diese Skills trotz seiner Unsicherheit auf die Schule und hilft dort den anderen. Damit tritt er aus seiner Außenseiter-Rolle etwas hervor. Weitere wichtige Figuren sind seiner schwarz-schwuler bester Freund Eric, sein Schwarm und Co-Sex-Coachin Maeve und seine Mutter. Später werden immer mehr Geschichten weiterer Figuren beleuchtet. Zum Beispiel der neue Freund der Mutter und seine Tochter, mit der Otis so seine eigenen Erfahrungen macht. Auch der Sohn des Schuldirektors wird mit seiner unterdrückten Homosexualität als Spiegel von allem unterdrückten wichtig. 

Die dritte Staffel sticht dabei nicht unbedingt heraus, sondern führt den Erfolg fort, ohne unsinnig zu werden. Es geht um die Schwangerschaft von Otis-Mutter, seine Aufgabe des Sex-Coachings, auch aufgrund einer neuen disziplin-fantastische Schulleiterin. Diese unterdrückt die positive Entwicklung, die Schule davor erfahren hat – und die Schüler*innen lehnen sich dagegen auf. 

Diese Coming of Age-Story nutzt den titelgebenden Aufhänger Sex, um vielfältige Lebensbereiche zu reflektieren – und darauf hinzuweisen, vielleicht doch nicht immer alles so ernst zu nehmen. Bei Sex Education geht es nur vordergründig um Sex – es geht auch um Repräsentation, Überzeugungen, Wünsche, White Trash-Trailerparks, LGBTQI+, Kind-Eltern-Beziehungen, Liebe, Freundschaft, Privilegien, anders sein, (Non-)Konformität, Peer Pressure und vieles mehr. 

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Sex könnte ein wunderbarer Aufhänger sein über Kommunikation, Wünsche und Lebensführung ins Gespräch zu kommen, die jeweiligen Themen aufzubohren und die jeweilige, oft toxische Reproduktionslogik zu durchbrechen. Das geht in der Jugend nochmal deutlich einfacher, als wenn man eine Verhaltensweise, zum Beispiel aus Gründen der Scham, dann teilweise schon Jahrzehnte so wiederholt hat! Wenn wir mit etwas Abstand also eher erinnern, was die Serie mit uns gemacht hat, als was genau dort passiert ist… scheint es künstlerisch wirklich wertvoll für uns.

Wir finden: Mit solchen Serien sollten Jugendliche aufwachsen. Sex Education betreibt Aufklärung par excellence. Es wird die ganze Zeit gezeigt, wie Kommunikation dazu beiträgt Probleme zu lösen. Ganz nebenbei werden diverse Tabus gebrochen und entstigmatisiert. Vielleicht entfaltet sich die Relevanz der Serie gar nicht so sehr für Mittdreißiger wie uns, die dennoch bestens unterhalten werden. Aber: Sie ist genau das, was die Welt braucht! Wir möchten hier auch ausdrücklich auf Dear White People und The End of the Fucking World hinweisen, die ähnlich abliefern.

Sex Education ist das beste Beispiel dafür, warum Netflix und die Verquickung mit LGBTQI+ ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den Streamingdienst darstellt. Es wird so schön deutlich, wie die Suche nach kommunikativer Verständigung trotz offensichtlicher Differenz notwendig ist, gelingen kann und utopische Momente von “so sollte Welt funktionieren” erzeugen kann. Eine schlaue Frau hat mir mal erklärt, gewaltfreie Kommunikation ist das “aber” nicht zu ernst zu nehmen, nur weil man das “und” noch nicht gefunden hat.

Tales from the Loop (Amazon): 9 von 10

Worum geht’s?

Tales from the Loop ist eine achtfolgige Miniserie mit abgeschlossenen Folgen, die jedoch alle in der gleichen speziellen SciFi-Welt spielen, die auf Basis der Gemälde von Simon Stålenhag entwickelt wurde. Das Besondere ist der Umgang mit Technik, welcher eher retro-futuristisch angelegt ist. In jeder Folge kommt eine Person in Kontakt mit dieser speziellen Technologie und irgendetwas passiert – was aber oft eher nen magischen Touch hat, als dass es klassisch-technologischem Fortschrittsglauben folgt. 

Die Technik steht da teils einfach so in der Gegend rum und niemand weiß genau, was sie eigentlich kann – es sind vergessene Artefakte, die erkundet werden wollen. Somit öffnet die Serie eine Tür zu einem Technologieverständnis, das kaum fremder zum Gegenwärtigen sein könnte.

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Das wunderschöne, meditative Setting sucht seinesgleichen. Die Serie hat überhaupt keinen Binge- aka Suchtfaktor. Sie ist einfach sehr entspannt. Ich glaube, wir haben die letzten 1-2 Folgen immer noch nicht gesehen. Tales from the Loop ist wunderbar zum Runterkommen, hat aber gleichzeitig auch eine gewisse Intensität, auf die man sich einlassen muss, weil sie andere, ungewohnte Fragen aufwirft. 

Die Liebesbekundung für diese Serie passt gut zu einer schönen Liebesbekundung in der Serie, auf die wir hier nicht weiter eingehen möchten – die uns aber nachhaltig prägte. Tales from the Loop ist im Vergleich zum Gewohnten so langsam, dass es teils auch schwierig auszuhalten ist – wobei Langeweile nicht das richtige Wort für dieses Gefühl ist. 

Tales from the Loop ist eine wunderbare Umsetzung des “Was wäre wenn”-Prinzips und liefert nachvollziehbare Ideen, was passieren würde, wenn ich mich selbst in einer Parallelrealität treffe, den Körper mit einem Freund tauschen kann oder die Welt angehalten ist und nur ich mich bewegen kann. Umrahmt wird das Ganze perfekt von sphärischer Klaviermusik. So zieht Ruhe in den Moment ein und die Fantasie bekommt Raum. 

Game of Thrones (Sky / WOW): 9 von 10

Game of Thrones ist neben Breaking Bad vermutlich eine der bekanntesten Serien des 21. Jahrhunderts. Julia hatte sich bisher dem Hype verwehrt, ich war bereit, die Serie ein zweites Mal zu gucken. Die acht Staffeln sind dabei aufgeteilt in die ersten sechs, die eine klare 10/10 bekommen und die beiden Letzten, die mit viel gutem Willen eine 5/10 von uns bekommen. 

Worum geht’s?

Es geht um das Spiel um die Krone in Westeros, einer Fantasy-Welt mit Drachen und anderen außergewöhnlichen Wesen, die sich vielfach aber einfach “nur” wie Mittelalter anfühlt. Der Fokus liegt auf dutzenden Charakteren, die ihre Interessen verfolgen, welche von ihren Häusern aka Adelsgeschlechtern und dem König geprägt sind. Dabei zählen das Geburtsrecht und die Monarchie alles. Bastarde werden zum Dienst an der Mauer abkommandiert. Bei Game of Thrones gibt es Bedrohungen von überall: Die Süd-Mächte gegen die von Nord, Nord gegen hinter die Mauer, Westeros gegen die Drachenlady. Alle gegen alle. Wähle deine Verbündeten weise!

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Die Serie hat Maßstäbe gesetzt. Die Komplexität der Welt wurde wunderbar durch perfektes, soziologisches Storytelling abgebildet, sodass wir die widerwärtigen Motive der verschiedensten Figuren wenigstens ansatzweise zu verstehen lernen. Nachdem wir sechs Staffeln mit den Figuren und deren Entwicklung mitgefühlt haben, enden George RR. Martins Bücher und die Showrunner wechseln zu einem psychologischen Storytellung, deren Bruch der Qualität einen riesigen Abbruch tut. 

Trotzdem: Game of Thrones ist eine der wenigen Serien, die sich nicht scheut, mühselig aufgebaute Figuren von jetzt auf gleich zu killen. Selten wurden so zielgerichtet und auch führend Brutalität und Sex eingesetzt. Entsprechend sind OMG-Momente garantiert! So intensive Folgen wie Red Wedding oder Battle of the Bastards sind für sich alleinstehende Meisterwerke. Bei mindestens drei Figuren freut man sich, wenn sie endlich tot sind.

Tod spielt also eine wichtige Rolle in Game of Thrones. Doch auch die vielschichtige Welt mit den verschiedenen Ländern und Kulturen, sowie den Spannungsfeldern zwischen diesen, überzeugt vollends. Gleiches gilt für die Charaktere, die man lieb gewinnt – fast schon vermisst. Immer wieder geht es darum, dass sich eigentlich Fremde einander annähern, Vorurteile abbauen und Menschen unabhängig von ihrem Geburtsrecht oder anderer Vorerfahrungen zueinander finden. Das Ganze wird von Ramin Djawadi musikalisch extrem fein unterstrichen – erstmals kann ich auch einem Ed Sheeran Song etwas abgewinnen. 

Als nicht ausgemachter Fantasy-Fan war die Welt für Julia durch das Storytelling und Worldbuilding sehr leicht zugänglich. Umso enttäuschender war auch für sie der Schluss mit einem riesengroßen Battle, dass banal abgehandelt wurde und der völlig absurden Entwicklung einer Hauptfigur, die so nicht nachvollziehbar war. Mir ging beim zweiten Mal durchbingen definitiv etwas am Sehvergnügen verloren. Es wird dann schon viel, was man verarbeiten muss – das ist mit “Woche für Woche und dann nen Jahr Pause” deutlich angenehmer.

Game of Thrones ist wohl das Gegenteil von einem Serien-Geheimtipp. Wir listen es hier dennoch, weil wir uns bisher über keine Serie ansatzweise so viel ausgetauscht haben. Sie hat abendfüllende Gespräche angestoßen. Und Game of Thrones hat uns die Tür zu vielen weiteren Fantasy-Türen geöffnet, die ohne den Erfolg dieser Serie wohl auch nie entstanden wären.

Acht weitere Fantasy-Serien: 6-9/10 

Es ist ein bisschen wie bei Staffel 1 von True Detective: Was soll nach Game of Thrones noch Überzeugendes kommen? Wir waren jedoch von einigen weiteren Fantasy-Serien durchaus angetan. Anbei eine kleine Übersicht mit kurzer Einschätzung und Bepunktung – wir lieben die Bepunktung!

SerieJuliaJonas
House of Dragon8
Erklärt einen Teil der Vorgeschichte von Game of Thrones, deren Welt einfach toll ist, und überzeugt u.a. durch starke Frauen
7
Für mich ist die Welt hier deutlich kleiner und die Brutalität teils unnötig übertrieben
Rad der Zeit6
An sich nicht schlecht, aber wenig hängengeblieben. Was bringt Staffel 2?
6
War nett zum weggucken, an sich interessante Welt, aber auch nicht so schön visualisiert
Carnival RowStaffel 1: 9 Krasse Welt, etwas düster, klassische Kolonialisierungsgeschichte mit unterdrückten, nicht menschlichen Lebewesen. Kampf um Macht, aber auch “verbotene Liebe” und das Überwinden von vermeintlich falschen Glaubenssätzen entschädigen über erzählerische Schwächen hinweg. Staffel 2 überzeugt wenig, teils nicht nachvollziehbare Handlungsstränge werden gemixt – zieht sich teils unglaublich in die Länge. Bekommt nur eine 68-9 
abhängig davon, wie Staffel 2 weiter verläuft. Intensiver als alle in der Liste mit herausragender Musik – siehe hier. Bearbeitet brandheiße Themen unserer Zeit und stößt zum Nachdenken an. Nachtrag: Staffel 2 fing fantastisch an und lies ebenso nach.
Ringe der Macht8, aber hinter House of Dragons. Die Welt mit den Drehorten und der Natur ist krass gemacht. Die Darsteller stechen heraus. Vorwissen wie die Völker zusammenhängen ist von Vorteil.8
Bestes Worldbuilding, manchmal etwas platt im Storytelling. Aber ich liebe einfach die Herr der Ringe-Welt. Die Serie lädt außerdem zum miträtseln ein: Wer ist Sauron? 
Sandman8
Hat einen speziellen artsy Touch. Mit ganz anderem Ansatz ist die Serie weniger Fantasy, sondern zeigt das Wandeln zwischen normaler Welt und Traumland. Sie spielt gekonnt mit dem, was sich in unseren Träumen abspielt. Damit ist sie trotz abgedrehter Story viel nahbarer als andere Fantasy.
8
Künstlerisch die wertvollste Serie in dieser Liste, basierend auf einer Graphic Novel ist sie einzigartig in der Umsetzung. Während es beim Storytelling noch Potential gibt, bleibt die eine Folge im Restaurant so krass in Erinnerung. 
Sweet Tooth7
Schöne Bilder mit viel Natur. Manchmal etwas langatmig, spielt gut mit “alles was abnormal ist, gehört sich nicht”
7-8
Sehr cute Coming of Age-Story im SciFi-Kontext. Hat viel Wärme, Emotion und schöne Momente der Introversion. 
Shadow and Bone6
Bisschen besser als Rad der Zeit, da spannender Touch von der Storyline
5
Für mich schlechter, kaum was hängen geblieben. Das zeigt sich nun auch in Staffel 2.
Wednesday9
Mega gut, hatte richtig Spaß mit dem Mix aus erfrischend anders, ironischen Brüchen und leichtem Grusel-Effekt. Die Addams-Family, wird von den Darsteller*innen so schön verkörpert. Insbesondere Wednesday selbst sticht heraus, indem sie ihrem speziellen Charakter Leben einhaucht. 
8
Krasse Musik, ganz eigene Serienart, die ich schätze. Ikonischer Tanz mit über 50 Millionen Aufrufen auf Youtube. Und eiskaltes Händchen. Freu mich auf Staffel 2!

The Playlist (Netflix): 10 von 10

Nachdem die anderen Serien schon standen, haben wir uns gefragt, ob wir Wednesday separat besprechen oder eine der anderen 3-4 Serien, die wir ziemlich gut fanden. Und dann kam The Playlist – eine sechsteilige Mini-Serie, die uns umgehauen hat. 

Worum geht’s?

The Playlist zeigt die Entstehungsgeschichte und Entwicklung von Spotify als Mittelweg von erzkonservativen Plattenfirmen und den Pirate Bays aka illegalen Download-Plattformen dieser Welt, die keinerlei Verständnis für Urheberrecht haben und entsprechend auch keinen Fokus auf Qualität und Wohlbefinden der Musiker*innenlegen konnten / wollten. Bei der Serie überzeugen auf höchstem Level sowohl einzelne Szenen, die Figurenzeichnung und die Systemkritik. 

Es klingt banal. Aber die Serie arbeitet heraus, warum Spotify Weltmarktführer werden konnte und welchen Anteil auch das innovative Produkt hatte: Warum ist dieser fucking Player so gut? Das weiß man nach The Playlist.

Man lernt außerdem, wie die Musikindustrie funktioniert und sich reproduziert. Lange geht es um die Urheberrechte und dass Spotify möglichst wenig auf die Plattenfirmen angewiesen sein will. Es zeigt sich, dass sich kein Business im System Musikbusiness ohne Plattenfirmen machen lässt. Im Prinzip diktieren sie Spotify am Ende das Geschäftsmodell bzw. bringen sie zum Einknicken. Das ist fantastische Systemkritik, die auf dem zuvor geschaffenen Verständnis der Zusammenhänge basiert.

Was sticht heraus, was bleibt hängen?

Das gelingt durch die Erzählweise von The Playlist, die für uns ein absolutes Highlight darstellt: 6 Folgen. 6 Perspektiven. 6 Wahrheiten über Spotify. Warum ist das so gut? Die ähnliche, immer weiter voranschreitende Chronologie verschwimmt ineinander, die Menschen erinnern sich unterschiedlich. So entsteht ein vielfältiger Blick auf das, wie es vielleicht gewesen sein könnte. Dabei stützt sich die Serie auf das Enthüllungsbuch The Spotify Play: How CEO and Founder Daniel Ek Beat Apple, Google, and Amazon in the Race for Audio Dominance.

Nach 5 Folgen Setup und Zusammenhänge bringt die sechste Folge nochmal einen eindringlich-fiktiven Ausblick in die Zukunft und rückt die in den Mittelpunkt, um die es eigentlich gehen sollte: die Musiker*innen.

Doooooniel! 

Neben verspielten Running Gags wie diesem wird auch die Musik sehr gut und passend zu der Entwicklung eingesetzt – anderes wäre bei dem Thema auch traurig. Man versteht jede Perspektive und lacht am Ende der Folge über den jeweiligen Turn – so wie dargestellt ist es nämlich doch nie wirklich gewesen 😉 

Spotify ist heute Teil unseres Alltags – und wir mögen es, unseren Alltag ein bisschen besser zu verstehen. Der eigene Blick auf Spotify ist nach dieser Serie differenzierter. Bisher lief die dauerhafte Unzufriedenheit der Musiker*innen häufig nur als Nebengeräusch mit. Jetzt ist sie uns deutlich verständlicher geworden. Auch die Überzeugung von vielen Wahrheiten für ein Thema wurde bestärkt. Deine Beobachtung gleicht nicht meiner Beobachtung, schon gar nicht mit etwas mehr Abstand auf das Thema. Gleiches gilt für diese Liste!

P.S.: 

Wir raten dringend davon ab, die Zeit mit Serien wie The Witcher – Blood Origin, Kinder vom Bahnhof Zoo, Hit & Run, Your Life is a Joke oder Lupin zu verschwenden. Für eine Verriss-Liste bitten wir um Rückmeldung zu dem Artikel. Gleiches gilt für die Einschätzung der verschiedenen Player. 

Blogadmin, kritischer Zukunftsforscher und Realutopist. Mehr über den Blogansatz unter dem Menüpunkt Philosophie.

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