Auf ein Wort #3: Intersektionaler Feminismus

Lesbische Muslimas und katholische Frauen, die vom Papst gesagt bekommen, dass verhüten gegen ihren Glauben ist. Religion und Weiblichkeit sind ein Beispiel für intersektionale Diskriminierung. Ein entsprechender Feminismus beschäftigt sich nicht mehr nur mit “der Frau”, sondern mit den vielen unterschiedlichen Geschichten, die jede Frau und jeder Mensch mitbringt. Die Denkweise ist besonders geeignet unbewusste Formen von Diskriminierung aufzudecken. Die Skizze für diesen Text entstand am internationalen Frauentag, der in Berlin neuerdings ein Feiertag ist. 

“Auf ein Wort” kann und darf eine Reihe von Texten werden, die sich verschiedenen Begriffen annähert. Einerseits Begriffe, die ich schön & wichtig finde, aber vergleichsweise unterrepräsentiert verwendet sehe. Andererseits solche, die sehr viel, mit sehr wenig Kontext, benutzt werden. #3 entstand mit der wunderbaren Julia Wallner als Wort-Pingpong-Partnerin. 

Feminismus als Kampf? Ja und Nein

Anja Kofbinger, Sprecherin für Frauen-, Gleichstellungs- und Queerpolitik der Grünen, sagt über den Weltfrauentag: „Für mich ist es in erster Linie ein Kampftag, aber das kann jeder so sehen, wie er möchte.“ Den 8. März nimmt sie als Dreiklang aus Feier-, Gedenk- und Kampftag wahr. Ich finde: Kampf und Feier sind gut – sie ziehen, wie Margarete Stokowski das in “Die letzten Tages des Patriarchats” schreibt, Aufmerksamkeit. Der Sache hilft jedoch differenzierte inhaltliche Auseinandersetzung jenseits der eigenen Position und Welt-Wahrnehmung am meisten.

Eine wichtige Feststellung zunächst: Die eine Frau gibt es nicht. Die Überwindung von sexistischer Benachteiligung von Frauen führt nicht dazu, dass sich andere Formen der Diskriminierung automatisch in Luft auflösen. Eine Befreiung der Frau von Diskriminierung ist insofern auch gar nicht möglich, weil sie eben nie nur “Frau” ist. Gleichzeitig möchte ich an der Stelle klar meine Zuneigung und Unterstützung für das Aufbegehren gegen statistisch messbare Unterdrückung und Ungleichheiten betonen. Dabei verorte ich mich als intersektionaler Feminist. Was ich darunter verstehe und wie das mit dem Kampf zu tun hat, soll dieser Artikel zeigen. 

Annäherung an den Begriff Intersektionaler Feminismus

Der Feminismus westlicher, weißer Mittelschichtsfrauen bildet im Zweifel also nicht alle weiblichen Bedürfnisse auf dieser Welt ab. Weitere Differenzdimensionen wie Klasse, Hautfarbe oder körperliche Besonderheiten prägen die Welt-Erfahrungen der Menschen. Das Bild des intersektionalen Feminismus stammt von Kimberlé Crenshaw (1989), die, wie die Böll Stiftung schreibt, “das Bild der Straßenkreuzung (englisch: intersection), an der sich Machtwege kreuzen, überlagern und überschneiden, verwendete. Sie wollte damit die Verwobenheit sozialer Ungleichheiten, wie sozialer Status, ethnische Herkunft, Behinderung und/oder Geschlecht, illustrieren. Entsprechend kann Intersektionalität als eine mehrdimensionale Art zu denken und zu handeln verstanden werden”

Ein Beispiel: Vielleicht wird eine schwarze Frau nicht deshalb nicht eingestellt, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie eine schwarze Frau ist. Es gab durchaus Cases in denen Arbeitnehmer argumentierten “Wir haben sowohl schwarze Männer, als auch weiße Frauen eingestellt” und damit sagen wollen: Wir können gar nicht diskriminierend sein!  

Intersektionaler Feminismus widmet sich also der Aufdeckung toter Winkel der Diskriminierung jenseits des weißen Feminismus: “An feministischer Front stehen oft Frauen, die bestimmte Privilegien gegenüber anderen Frauen besitzen” -> Alice Schwarzer, you name it!

Intersektional heißt alle für alle und nicht, wer ist am schlechtesten dran

Wer also nur für die eigene Sache kämpft und den Themen anderer die Bedeutung abspricht, kann in diesem Sinne keine Feministin sein. Wir sprechen hier von einem schmalen Grat bei dem es, wie so oft, darum geht Spaltung zu vermeiden aber auch eine klare Linie zu ziehen. 

Fehlende Gerechtigkeit ist ein großes Thema auf dieser Welt. Die Komplexität muss sicherlich teilweise reduziert werden, um die eigene Sache voran zu bringen. Hat Mensch sich aber dann gewisse Privilegien erarbeitet und konzentriert sich dann weiter nur auf den eigenen Kampf – “Mein Kampf” – droht die gute Sache zu kippen. Macht ist dringend an Verantwortung für diejenigen zu knüpfen, die diese nicht haben. Ich denke für uns Menschen ist es äußerst schwierig von der eigenen Perspektiven und dem eigenen Wissen zu abstrahieren und sich immer wieder dem zu öffnen, was andere betroffen macht. Denn das darf nicht weniger wert sein! 

Was wir im deutschen Alltag ständig erleben ist nichts anderes als Besitzstandswahrung:: “Das Problem existiert für mich nicht.” Die Angst vor Veränderung, die mir nichts bringt ist zwar einerseits irgendwie verständlich, andererseits auch albern und lächerlich. Meine Zielfrage ist dabei: Bin ich selbst möglicherweise Teil der Unterdrückung? Welche Privilegien nutze ich vielleicht ganz selbstverständlich? Oder wie das Missy Magazine passend schreibt: 

Maße dir nicht an, anderen sagen zu können, dass ihre Erfahrungen von Diskriminierung weniger wichtig sind. Sei selbst kein Täter.

Und: Wenn wir das Gefühl haben, dass uns etwas weggenommen wird, weil wir nicht mehr Täter*innen sein dürfen, wie wir gerade wollen… sollten wir ganz dringend nochmal über das Herrschafts-Thema in unserer kapitalistischen Gesellschaft sprechen!

Einige Überlegungen zum feministischen Kampf

Zunächst nochmals: Es gibt messbare Ungerechtigkeiten zwischen Frauen und Männern. Einige Beispiele: 

  • “In Deutschland liegt die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern bei 19 Prozent” so das BMFSFJ
  • “Die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, Fair mieten – Fair wohnen war in ihrer Arbeit von Anfang an mit der Diskriminierung queerer Menschen bei der Wohnungssuche und auch in bestehenden Wohnverhältnissen konfrontiert. Eine der ersten gerichtlichen Auseinandersetzungen, die sie begleitete, hatte die Diskriminierung einer trans* Frau durch eine Wohnungsbaugenossenschaft zum Gegenstand” geht aus der Broschüre von Fairmieten – Fairwohnen hervor. 
  • “Weiblich, jung, kein Partner, aber ein Kind – also arm? Die alleinerziehende Mutter (alleinerziehende Väter sind selten) gehört zu den hartnäckigsten Risikogruppen der deutschen Gesellschaft” analysiert selbst die FAZ

All das sind Probleme, die mich persönlich nicht direkt betreffen und die ich dennoch zutiefst problematisch finde. In meiner Weltsicht spielen Komplexität und Mehrdeutigkeit eine solch gewichtige Rolle, dass ich versuche eine größtmögliche Offenheit für andere Perspektiven und andere Schicksale zu wahren. Im Kampf für die eigene Sache droht nämlich grundsätzlich die Gefahr, dass andere Personen auf die man trifft, möglicherweise auch eine marginalisierte Position hat. Passt diese nicht, trotz insgesamt möglicherweise großer inhaltlicher Schnittmenge, zu dementsprechend ausgerufenen Kampf, werden beide Positionen geschwächt. 

Feminismus droht, wie so oft in unserer Welt, als Stereotyp missbraucht zu werden: Wir Frauen sitzen doch alle in einem Boot! Demgegenüber steht eine fremdzugeschriebene Identitätspolitik, der die Individualisierungsfalle droht, wenn sie sich nur mehr auf das Anliegen ihrer eigenen Bubble versteift. Es droht ein Kampf um Aufmerksamkeit und ein Gegeneinander statt Solidarität.

Intersektionalen Feminismus empfinde ich dabei als die dialektische Antwort, die die Frage umkehrt: Weg vom “Mein Kampf ist der wichtigste” hin zu “Wie verstehe ich andere besser?”

Die Frage ist gar nicht so sehr, wie man mit dem eigenen Thema umgeht – die haben immer ihre volle Daseinsberechtigung – sondern wie gehe ich mit den Anderen und deren Themen um. Wie lange hat es denn jetzt gedauert, bis der Mehrheit klar wurde, dass es mehr als Männer und Frauen gibt? Und auch Homosexualität ist heute für die allermeisten absolut normal. Das scheinbar Fremde wandelt sich in der Wahrnehmung von emotional aufgeladener Bedrohung zur Normalität. 

Spaltung betonende Kämpfe stehen hier nur im Weg. Das gilt allerdings insbesondere auch für die Kritiker*innen von Identitätspolitik. Als ich das Buch “Die sortierte Gesellschaft: zur Kritik der Identitätspolitik” las, konnte ich einige wichtige Punkte für eine konstruktive Diskussion extrahieren. Überlagert wurde das Buch aber von seiner Doppelmoral. Viele Texte werfen “den Anderen” vor spaltend zu agieren – dabei polemisieren die Autor*innen selbst gegen die für sie fremden Themen und werten diese ab, anstatt nach einem ganzheitlicheren Prozess zu suchen, in dem sie sich auch genug abgebildet sehen. 

Ganz konkret ist jedwede solidarische Transformation in unseren heutigen Zeiten kaum denkbar, ohne Klassen- und Identitätsbewusstsein zu versöhnen – das wir und das ich. 

Intersektionalität und kritische Zukunftsforschung

Ein prägender, überblicksstiftender Text zu kritischer Zukunftsforschung “From Critique to Cultural Recovery: Critical Futures Studies and Causal Layered Analysis” wurde 2003 von Jose Ramos veröffentlicht. Darin wird der Einfluss des poststrukturalistischen Philosophen Shapiro auf kritische Zukunftsforschung deutlich: Eigene Taten können kaum als komplett bewusster Vorgang bezeichnet werden. Saphiro spricht beispielsweise von fehlender intentionaler Kontrolle darüber, in Kommunikation das rüberzubringen, was wir “eigentlich” sagen wollen. Beispielsweise sind gewisse Worte für mich eigentlich ganz harmlos, bedeuten für andere aber eine große Kränkung. Meine Konsequenz daraus: Natürlich kann und werde ich meine Weltwahrnehmung nicht komplett leugnen oder mich selbst aufgeben – dennoch kann und werde ich versuchen auf mein jeweiliges Gegenüber individuell einzugehen, um wirklich in Kontakt zu treten. 

Meine ehemalige Kommilitonin und kritische Zukunftsforscherin Franziska Schönfeld greift den Konflikt in ihrer Auseinandersetzung mit feministischer Zukunftsforschung auf. In ihrem Talk zum Launch von zukunftsforscherin.de fordert sie eine Abkehr vom dogmatischen “The Future is female” hin zu: 

In einem aktuellen Paper im Kontext der kritischen Zukunftsforschung wurde der Umgang von Student*innen mit dem Klimawandel beleuchtet: 

This study will document in what ways intersectionality has contributed to students’ ability to articulate conceptually rich preferred futures.

Dafür wurde die aktuell wohl gängigste Methode der kritischen Zukunftsforschung, die Causal Layered Analysis (CLA), mit Intersektionalität kombiniert. Die CLA hinterfragt die dahinterstehenden Annahmen über die Welt, um einen Zugang zu alternativen Weltsichten zu schaffen. Hier ein vereinfachtes Schaubild dazu: 

Die Einbindung von Intersektionalität zeigte folgende Vorteile beim dekonstruieren bestehender Annahmen über unsere Sicht auf Welt: 

  • Sie hat die Schüler ermutigt, ihre Perspektive zu erweitern und miteinander verbundene Probleme zu identifizieren, anstatt sie als sich gegenseitig ausschließend zu betrachten.
  • Intersektionalität ermöglichen Schüler*innen Verbindungen zwischen Individuen und einer breiteren Gesellschaft herzustellen. Diese Verwendung wurde deutlich, als die Schüler auf die Ebene der systemischen Ursachen übergingen. (…) Darüber hinaus erweiterten die Schüler innerhalb der Ebene der systemischen Ursachen ihre Perspektive weiter und brachten sowohl kategoriebasierte als auch kontextbasierte Schnittpunkte ein.
  • Auf den beiden tiefsten Ebenen halfen die intersektionalen Kontexte, um mit der Komplexität des Themas umzugehen.

Wenn du im Modus von Zusammenhängen denkst, stehst du nicht vor nem riesigen Eisberg, sondern kannst entspannt tauchen gehen!

Die Einbindung von Intersektionalität zeigte folgende Vorteile beim rekonstruieren alternativer Zukünfte für unsere Welt: 

  • Die bevorzugte Zukunft der Schüler verlässt Konflikte zwischen Gruppen und sucht Lösungsansätzen, mit denen mehrere Probleme gleichzeitig gelöst werden können
  • Auch wenn die Menschen unterschiedliche Schwerpunkte / persönliche Zugänge zu Welt haben (z. B. Tieraktivismus, Frauenrechte), versprach das intersektionale Denken eine eine effizientere Nutzung von Ressourcen. , Werden Interessengruppen zusammen gebracht und Gemeinsamkeiten gefunden entsteht ein breiterer Common Ground.
  • Dieses integrative Denken ermöglicht es, Intersektionalität als Strategie der sozialen Bewegung zu nutzen

Zusammenfassend ist intersektionaler Feminismus ein wichtiges Instrument, um bestehende Macht-Ungleichgewichte aufzudecken und, in Kombination mit kritischer Zukunftsforschung, alternative Zukünfte zu entwerfen: 

Critical research is intended to question power relations through deconstructing current-day language and categories and considering alternatives for the future (Inayatullah, 1998). Intersectionality serves the purpose of leading students through CLA, by encouraging students to think broadly about interrelated problems or issues; make connections between individual behavior and society; and make connections between categories and contexts to envision solutions to complex problems.

Zum Schluss einige persönliche “Empfehlungen” bzw. Menschen, die mich bei dem Thema inspirieren und lernen lassen: 

Helen Fares Insta
Margarete Stokowski  Insta
Sohail Inayatullahs Website und öffentlich zugängliche Papers
Alice Hasters Buch “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“
Kübra Gümücays Buch “Sprache und Sein”
Missy Magazine

Blogadmin, kritischer Zukunftsforscher und Realutopist. Mehr über den Blogansatz unter dem Menüpunkt Philosophie.

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